Helmut Wurr

Die Freiheit 15, ersatzweise für Marktgasse 23 (zerstört und neue Bebauung)

Helmut August Ludwig Wurr, geboren am 7. Oktober 1933 in Kassel, war der Sohn von Martha Wurr, geb. Lewald, und dem Ingenieur Bertel Johannes Hinrich Wurr. Nach dem Tod des Vaters wurde die jüdische Mutter vom NS-Staat verfolgt und  vernichtet. (Näheres zum Schicksal von Martha hier) Danach gerät der 9-jährige Helmut  in die Fänge der "Fürsorgeerziehung", wo ihm jüdische "Rassemerkmale" und "Geisteskrankheit" angedichtet werden, was schließlich zu seiner Ermordung führt.

 

Der Vater und die Kinder waren christlich getauft, die Mutter jüdischen Glaubens. Bis zum Tode des Vaters in 1934 waren die Wurrs als Teil einer privilegierten Mischehe relativ geschützt.

Helmut Wurr besuchte die Bürgerschule in Kassel Wilhelmshöhe und war ein durchschnittlicher Schüler.

 

Er wird 1940 in die 3. Klasse versetzt mit guten Noten in Betragen, Musik und Deutsch.

 

Die letzte gemeinsame Wohnadresse der Familie war vermutlich die Kasseler Marktgasse 38. Nach dem Tod seines Vaters und der Internierung seiner Mutter in Breitenau und ihrer Deportation in das Frauen-KZ Ravensbrück wird Helmut in die „Obhut“ des Kasseler Auguste-Förster-Hauses übergeben, da „die elterliche Gewalt infolge Unterbringung in einer Arbeitsanstalt“ nicht ausgeübt werden könne.

In der Anstalt soll es zu Erziehungsschwierigkeiten“ gekommen sein. In den Akten steht, er sei „unaufrichtig“ lüge, sei „unordent-lich und unsauber an sich und seiner Bekleidung, verschlagen und ohne Mut, für das, was er getan habe, einzutreten“.

Diese herabwürdigende Beurteilung eines noch nicht einmal Neunjährigen ist mehr als fragwürdig, zumal wohlwollende Einschätzungen aus dem schulischen Umfeld dabei keinerlei Berücksichtigung oder Erwähnung fanden.

Abschrift des Zeugnisses für Helmut Wurr
Abschrift des Zeugnisses für Helmut Wurr

Die Behörden waren zwanghaft darum bemüht, antisemitische Stereotypen zu bedienen, um Kinder eines jüdischen Elternteils auf diese Weise in „Fürsorgeerziehung“ zu drängen. Die Begutachtung wurde auf der ideologischen Grundlage des NS vorgenommen, wonach die vorgeblich „jüdischen Rassemerkmale“ vererbt seien.

Für das Amtsgericht Kassel stand somit fest, dass Helmut Wurr ein „seelisch verwahrlostes Kind“ sei und die dauerhafte Überweisung in ein geschlossenes Fürsorgeheim erfolgen müsse.

Der entsprechende Beschluss ergeht am 1. Juli 1942, knapp vier Wochen nach der Ermordung von Helmuts Mutter am 6.Juni 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg an der Saale, in das sie zuvor im Kontext der „Aktion 14f13“ deportiert worden war.

Helmut Wurr wurde aufgrund dieses Amtsgerichtsbeschlusses in das Landeserziehungsheim Homberg überwiesen und am 8. Oktober 1942 dort aufgenommen. Mit Wirkung zum 1. Oktober 1943 erfolgt die polizeiliche Abmeldung Helmuts aus Homberg und die „Überweisung“ in das „Erziehungsheim Hadamar“. Auffallend ist, dass die Kostenstelle in Kassel am 2. Oktober 1943 schriftlich in Kenntnis gesetzt wird, dass Helmut, der zuvor durchgängig als „geistig gesund“ bezeichnet wurde, wegen „Geisteskrankheit“ in Hadamar aufgenommen worden sei.

In der Akte gibt es eine handschriftliche Notiz, dass der am 1. Oktober 1943 in die „hiesige Anstalt“ aufgenommene Helmut Wurr am 10. Oktober an Darmentzündung mit „hohem Fieber“ erkrankt sei. Für den 12. Oktober 1943 wird „Exitus“ an „Enterokolitis“ vermerkt.

Den Anverwandten Ursula Wurr und der Tante, Frau Ella Krutewig in Düren, wurde mit Schreiben vom 12. Oktober 1943 mitgeteilt, dass Helmut Wurr verstorben sei; die Beerdigung werde in „aller Stille“ auf dem Anstaltsfriedhof stattfinden. Die „Beerdigung“ bestand aus einem würdelosen Verscharren ohne jegliches Zeremoniell. Der aus Kostengründen in den Tötungsanstalten eingesetzte, mehrfach verwendbare Klappsarg kam zum Einsatz. In diesen wurde die unbekleidete Leiche der Ermordeten hineingelegt. Durch die angebrachte Hebelmechanik konnte der Boden geöffnet werden. Der Körper fiel in die darunter ausgehobene Grube.

 

Martina Hartmann-Menz    (gekürzte und autorisierte Fassung von Rüdiger Scheel und Jürgen Strube)      2014

 

 

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