August Fuhrmann

Waisenhausstraße 11 (früher 27)

August Fuhrmann (1938)
August Fuhrmann (1938)

August Friedrich Heinrich Fuhrmann wurde am 27. September 1899 in Kassel geboren. Seine Eltern waren der Steindrucker Johann Heinrich Fuhrmann und Therese Fuhrmann, geborene Schröder (Geburtenregister, StadtA KS, A 3.55.1 Nr. 1.1.1.107). Ein 1897 geborener Bruder – Jean Heinrich – starb 1918 an einer Kriegsverletzung. Als junger Mann erlernte August Fuhrmann den Beruf des Elektrikers. Ob er sich in seinen Lehrjahren politisierte oder aber seine Familie bereits in der Arbeiterbewegung aktiv war, ist nicht überliefert. Früh gründete August Fuhrmann eine Familie. Aus seiner ersten Ehe mit Gertrud, geborene Semmelroth, gingen zwei Kinder hervor. Der Sohn Heinz wurde am 27. Februar 1920 geboren, die Tochter Emilie Anna Gertrude am 14. April 1921 (Erbschein vom 15.2.1950, HHStAW, 518 Nr. 62600, Bl. 1). Die Ehe wurde 1924 geschieden. Neun Jahre nach der Scheidung starb Gertrud. Im Jahr 1925 heiratete August Fuhrmann die Näherin Barbara Elisabeth Elly Gerhold (geb. 27.2.1904). Mit ihr und seiner verwitweten Mutter lebte er in der Kasseler Unterneustadt, in der Waisenhausstraße 27. Dieses Haus war seit mindestens 1897 im Eigentum der Familie Fuhrmann. Laut Adressbuch von 1940 war August Fuhrmann inzwischen der Eigentümer des Hauses. Im November 1942, als August Fuhrmann bereits seit Jahren in Haft war, zog die Familie in die Jahnstraße.

Blick in die untere Waisenhausstraße 1898 (Murhardsche Bibliothek, Foto: Conrad Seldt, Signatur: 35 HF C 486)

Luftbild der unteren Waisenhausstraße 1927/28 (StadtA Kassel 0.001.109)

Ausschließungsschein 1938 (Gedenkstätte Breitenau)
Ausschließungsschein 1938 (Gedenkstätte Breitenau)

Mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten geriet Fuhrmann als Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und der Bezirksleitung der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO) bald ins Visier der Behörden. Kurz nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten wurde August Fuhrmann am 5. März 1933 wegen des Verdachts „auf Neuaufbau der KPD“ in sogenannte Schutzhaft genommen und war im Polizeigefängnis Kassel inhaftiert (Entschädigungsbescheid vom 1.3.1955, HHStAW, 518 Nr. 62600, Bl. 7). Vom 23. Juni 1933 bis zum 17. Februar 1934 war er in der Untersuchungshaftanstalt Kassel untergebracht (Ausweis für politische Häftlinge vom 15.8.1945, Gedenkstätte Breitenau, B 171, Bl. 37). Am 22. Februar 1934 wurde er ins Konzentrationslager Breitenau bei Kassel überstellt (Zugänge vom 22.2.1934, LWV-Archiv, B2 Nr. 763, Bl. 183). Zu diesem Zeitpunkt war das Lager, das auf Initiative des Polizeipräsidenten in Kassel im Juni 1933 eingerichtet worden war, in Auflösung begriffen und Fuhrmann zählte zu den letzten eingelieferten Gefangenen. Am Tag der offiziellen Auflösung des Konzentrationslagers, dem 17. März 1934 wurde Fuhrmann entlassen (Abgänge vom 17.3.1934, LWV-Archiv, B2 Nr. 763, Bl. 198). Es folgten zwei Jahre der illegalen Widerstandsarbeit. Dabei waren er und seine Familie in dieser Zeit auf Fürsorgeleistungen angewiesen, wie aus einer amtsärztlichen Bescheinigung vom 28. November 1935 hervorgeht. Die Vorlage für die Hauptfürsorgestelle bescheinigte August Fuhrmann eine Hirnverletzung – vermutlich hatte er die Verletzung aus der Haftzeit davongetragen – infolge derer er nicht arbeitsfähig war (Amtsärztliche Bescheinigung vom 28.11.1935, Gedenkstätte Breitenau, B 171, Bl. 1). Am 25. Januar 1936 wurde Fuhrmann erneut festgenommen und am 23. Oktober des Jahres vom Oberlandesgericht Kassel wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ angeklagt. Der Vorwurf lautete, dass Fuhrmann sich mit einem KPD-Funktionär über die Möglichkeiten des Neuaufbaus der kommunistischen Partei unterhalten habe. Das Oberlandesgericht Kassel verurteilte ihn zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft im Zuchthaus Wehlheiden (Kassel). Auf die zweijährige Haft im Zuchthaus Wehlheiden folgte eine dreimonatige Haft im Kasseler Polizeigefängnis. Nach seiner Entlassung war er wenige Wochen in Freiheit, bis er erneut in sogenannte Schutzhaft genommen und im Juni 1938 ins KZ Sachsenhausen überstellt wurde.

Während der Haft in Sachsenhausen wurde 1939 die Ehe zwischen August und Elly Fuhrmann geschieden. Da die beiden ein Jahr nach Kriegsende erneut heirateten, ist anzunehmen, dass sich das Paar nicht freiwillig, sondern auf Druck von außen scheiden ließ. Am 22. Mai 1941 wurde Fuhrmann im Konzentrationslager Natzweiler registriert und war seit 1944 Häftling des Außenlagers Dautmergen im heutigen Zollernalbkreis in Baden-Württemberg. Dieses Außenlager des Konzentrationslagerkomplexes Natzweiler-Struthof zählte zu den sieben Lagern des Industriekomplexes „Wüste“, die für ihre katastrophalen Haftbedingungen berüchtigt waren. Neben dem polnischen Schriftsteller Tadeusz Borowski war hier auch der französische Widerstandskämpfer und Künstler Henri Gayot inhaftiert. Er fertigte während seiner KZ-Zeit eine Vielzahl von Zeichnungen aus dem Lageralltag an. Auch seinen Freund August Fuhrmann portraitierte er und schenkte ihm nach der Befreiung eine Reihe von Zeichnungen. Diese Zeichnungen sowie Originaldokumente aus dem Nachlass von August Fuhrmann überreichte seine Schwiegertochter der damals noch jungen Gedenkstätte Breitenau im Jahr 1989.

KZ Natzweiler und August Fuhrmann als Häftling (Zeichnungen von Henri Gayot - Gedenkstätte Breitenau)

Im Konzentrationslager Dautmergen wurde Fuhrmann am 22. April 1945 von französischen Truppen befreit (Zertifkat Bureau d’indentification des Prisonniers Politiques Altshausen vom 28.4.1945, Gedenkstätte Breitenau, B 171, Bl. 3). Zum Zeitpunkt seiner Befreiung war August Fuhrmann insgesamt 121 Monate in Haft gewesen. Wie seine Frau Elly später im Entschädigungsverfahren angab, wurde August Fuhrmann in seiner Häftlingskleidung befreit, die heute ebenso von der Gedenkstätte Breitenau aufbewahrt wird.

Postkarte an die Familie aus der Haft (privat) - Franzöisches Zertifikat und Sonderausweis für politische Häftlinge 1945 (Gedenkstätte Breitenau)

Die überlieferte Krankenakte von August Fuhrmann dokumentiert zwischen 1938 und 1944 allein 14 Einträge, die von Entzündungen über Prellungen und Infekte reichen, dabei die tatsächliche Schwere der Erkrankungen vermutlich verschleiern. Als politscher Verfolgter erhielt Fuhrmann unmittelbar nach seiner Befreiung Fürsorgeleistungen. Bald, im Juni 1945 fand er auf Vermittlung der Betreuungsstelle ehemaliger politischer Häftlinge eine Anstellung im Zuchthaus Kassel-Wehlheiden als Maschinenmeister im Status des Hilfsaufsehers. Als Verfolgter galt er der amerikanischen Militärregierung zunächst als politisch unbelastet. Am 1. Oktober 1945 wurde er daher in den Beamtenstatus erhoben und als gelernter Elektromonteur zum Betriebsleiter bei Justizvollzugsanstalten ernannt. Damit ersetzte er den aufgrund seiner NSDAP-Mitgliedschaft entlassenen bisherigen Betriebsleiter der Anstalt (Fuhrmann an die amerikanische Militärregierung, 28.12.1945, Gedenkstätte Breitenau, B 171, Bl. 14). Die Beamtenbesoldung und damit ein gesichertes Einkommen kam ihm jedoch nur wenige Monate zugute (Vorstand des Zuchthauses Wehlheiden, Berufung in das Beamtenverhältnis vom 1.10.1945, Gedenkstätte Breitenau, B 171, Bl. 7). Vor dem Hintergrund des sich verschärfenden antikommunistischen Klimas in der amerikanischen Besatzungszone wurde Fuhrmann am 29. Dezember 1945 beurlaubt und es wurde ihm das Betreten der Anstalt untersagt (Vorstand des Zuchthauses Wehlheiden an den Betriebsleiter August Fuhrmann, 29.12.1945, Gedenkstätte Breitenau, B 171, Bl. 15). Im Januar 1946 folgte schließlich auf Befehl der Militärregierung die Kündigung seiner Dienstwohnung (Vorstand des Zuchthauses Wehlheiden an den Betriebsleiter a. D. August Fuhrmann, 14.1.1946, Gedenkstätte Breitenau, B 171, Bl. 16). Seine Beurlaubung stand, so ist anzunehmen, im Zusammenhang mit seinen politischen Aktivitäten für die KPD. So hatte Fuhrmann sich in seiner Funktion als Betriebsleiter ab Mitte Oktober für eine Arbeitnehmervertretung der Belegschaft des Zuchthauses Wehlheiden eingesetzt und damit die Aufmerksamkeit der Militärregierung auf sich gezogen (Vorstand des Zuchthauses Kassel-Wehlheiden an die Militärregierung in Kassel, 16.10.1945, Gedenkstätte Breitenau, B 171, Bl. 11).

Am 1. Dezember 1947 starb August Fuhrmann. Zwei Monate vor seinem Tod hatte er einen Brief von Anton Burg (geb. 29.9.1914) erhalten, der mit ihm im Handwerker- bzw. Elektronikerkommando des KL Natzweiler eingesetzt gewesen war. Burg, der wieder in seine Heimatstadt Esch/Alzette in Luxemburg zurückgekehrt war, richtete in seinem Brief liebevolle und dankbare Worte an Fuhrmann: „Dir lieber August habe ich so vieles zu verdanken, denn ohne deine Hilfe und Fürsprache und dein Schlichtungsvermögen wäre ich oft in unserer Haftzeit schwer unter die Räder gekommen und wer weiß, ob ich dann jetzt hier säße und dir schreiben könnte.“ Anton Burg bat in seinem Brief inständig um Antwort, waren seine letzten Briefe doch unbeantwortet geblieben (Anton Burg an August Fuhrmann, 13.10.1947, Gedenkstätte Breitenau, B 171, Bl. 25). Dieser Bitte konnte August Fuhrmann nicht mehr nachkommen. Er verstarb im Alter von 48 Jahren im Stadtkrankenhaus Kassel infolge einer Tuberkoloseinfektion, die während seiner KZ-Haft unbehandelt geblieben war (Sterberegister von 1947, StadtA KS, A 3.35.1 Nr. 3.1.409). Die Beerdigung von August Fuhrmann fand am 5.12.1947 auf dem Hauptfriedhof Kassel statt.

Gedenkstele vor dem Rathaus Kassel (Gedenkstätte Breitenau)
Gedenkstele vor dem Rathaus Kassel (Gedenkstätte Breitenau)

Nach seinem Tod kämpften seine Frau Elly und seine beiden Kinder Heinz und Emilie wie viele andere Angehörige um Entschädigung. Elly Fuhrmann holte Haftbescheinigungen ein und kontaktierte ehemalige Mithäftlinge ihres Mannes, die seine Haft bezeugten. Die Effekten ihres Mannes erhielt sie durch den Suchdienst beim Roten Kreuz im Jahr 1954 (Deutsches Rotes Kreuz Suchdienst Hamburg, Wertbrief, 25.8.1954, Gedenkstätte Breitenau, B 171, Bl. 28), den positiven Bescheid über den Entschädigungsantrag am 1. März 1955. Öffentliche erinnerte in der Nachkriegszeit nur die „Vereinigung der Verfolgen des Naziregimes“ (VVN) an August Fuhrmann. So war anlässlich des Tages der Opfer des Faschismus im September 1950 auf einer vor dem Rathaus aufgestellten Stele sein Name zu lesen – unter der Überschrift „Sie starben für DICH“ wurden hier Namen von ermordeten Verfolgten aufgezählt. Die Gedenkstätte Breitenau griff das Schicksal August Fuhrmanns in den 1980er Jahren in ihrer ersten Dauerausstellung vertiefend auf. In den 2000er Jahren begab sich schließlich eine 10. Klasse der IGS Guxhagen unter Leitung ihres Lehrers Stefan Roepell auf Spurensuche und zeichnete den Verfolgungsweg von August Fuhrmann nach. Aus dem Projekt ging eine Dokumentation hervor. Darüber hinaus erinnert auf der Website der Gedenkstätte Breitenau ein Eintrag an August Fuhrmann.

Quellen

 

Archiv der Gedenkstätte Breitenau

arolsen archives

HNA-Archiv

Fotosammlung Murhardsche Bibliothek

Stadtarchiv Kassel: Adressbücher, Meldekarten und Hausstandsbücher

https://www.natzweiler.eu/eine-europ%C3%A4ische-geschichte/das-netzwerk-des-lagers

Kammler, Jörg: Gegner. In: Ders./ Krause-Vilmar, Dietfrid (Hrsg.): Volksgemeinschaft und Volksfeinde. Kassel 1933-1945, Kassel 1984, S. 344-361

Krause-Vilmar, Dietfrid: Das Konzentrationslager Breitenau. Ein staatliches Schutzhaftlager 1933/34, Marburg 2000

 

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