Sara und Rudolf Nussbaum

Schäfergasse 28/30

1943 zerstört, heute: Verbindungsweg zwischen Schäfergasse und Müllergasse

Sara Nussbaum während der Verleihung der Ehrenbürgerschaft
Sara Nussbaum während der Verleihung der Ehrenbürgerschaft

Sara Nussbaum, geb. Rothschild, aus Merzhausen bei Treysa (1868-1956), und ihr Mann Rudolf (1867-1934) lebten und arbeiteten seit 1890 gemeinsam in der Unteren Schäfergasse 28/30 in Kassel, wo sie ein Möbelgeschäft betrieben. In den Jahren 1892 bis 1900 wurden die Kinder Julius, Sofie und Caroline geboren. Das Ehepaar Nussbaum war in Kassel bekannt und angesehen, nicht zuletzt durch sein soziales Engagement.

 

In den frühen Jahren des Aufbaus eines Sanitätswesens in der Stadt war Rudolf Nussbaum bereits ab 1892 Kolonnenführer bei dem späteren Roten Kreuz, leitete in Notfällen den Transport Verletzter, bildete unzählige ehrenamtliche HelferInnen aus und unterrichtete Tausende in Erster Hilfe. Darüber hinaus wirkte er drei Jahrzehnte lang als Gemeindeältester der Jüdischen Gemeinde, 15 Jahre war er Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr sowie fast 50 Jahre Mitglied der Aelteren Casseler Turngemeinde (ACT).

Sara Nussbaum ließ sich vor ihrer Heirat zur Rotkreuzschwester ausbilden und arbeitete in der Sanitätskolonne Nussbaum mit. Sie war jahrzehntelang Gemeindeschwester der Jüdischen Gemeinde und arbeitete im Jüdischen Altersheim in der Mombachstraße und im Israelitischen Waisenhaus in der Gießbergstraße. 1933 wurde Sara Nussbaum – nach späteren eigenen Angaben von einer Mieterin ihres Hauses in der Wilhelmshöher Allee 151 – denunziert und einige Wochen in der Gestapohauptstelle Königstor inhaftiert. Ihr Mann, der ihr bei der Verhaftung zu Hilfe kommen wollte, wurde von den SA-Männern so stark verletzt, dass er am 6. November 1934 an diesen Verletzungen verstarb.

Sara Nussbaum mit Tochter Sofie in den Fünfzigerjahren
Sara Nussbaum mit Tochter Sofie in den Fünfzigerjahren

All die Jahre und ungeachtet ihres Alters arbeitete sie bis zu ihrer Deportation weiter im Altenheim Mombachstraße. Mit den anderen BewohnerInnen des Heimes wurde sie mit dem dritten und letzten Deportationstransport von Kassel, der die Stadt am 7. September 1942 verließ, ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Bereits auf dem Transport hatte sie sich als Krankenschwester gemeldet; in Theresienstadt widmete sie sich, mittlerweile weit über 70 Jahre alt, unter unvorstellbaren Bedingungen der Pflege Typhuskranker. Wie durch ein Wunder gelangte sie im Februar 1945 mit über tausend anderen KZ-Häftlingen in die Schweiz; sie gehörte einem Transport an, der vom Internationalen Roten Kreuz organisiert war und tatsächlich in die Freiheit führte und nicht in eines der Vernichtungslager. Nach einem Aufenthalt in einem Sanatorium des Roten Kreuzes bei Lausanne machte sich Sara Nussbaum auf den Weg nach Deutschland. Dort angekommen, lebte sie zunächst in Goslar bei ihrer Tochter Sofie.

Ehrengrab von Sara und Rudolf Nussbaum auf dem Jüdischen Friedhof Bettenhausen
Ehrengrab von Sara und Rudolf Nussbaum auf dem Jüdischen Friedhof Bettenhausen

Sara Nussbaum setzte sich bald nach ihrer Rückkehr hartnäckig dafür ein, Wohnraum in Kassel zu erhalten. In einer kleinen Mansardenwohnung in der Heckerstraße 20 verbrachte sie in bescheidenen Verhältnissen ihre letzten Jahre. 1948 konnte sie ihre überlebenden Enkelinnen Henny und Berna wiedertreffen.

Zeitlebens erhielt sie keine finanzielle Wiedergutmachungsleistung; erst Ende der 1950er Jahre bekam ihre Tochter Sofie Reckewell eine kleine Entschädigung zugesprochen.

 

 

1956 wurde Sara Nussbaum als erste Frau in Kassel mit der Ehrenbürgerschaft der Stadt Kassel geehrt. Im Dezember desselben Jahres starb sie im Alter von 88 Jahren an den Folgen eines Sturzes.


Die Grabstätte des Ehepaares Nussbaum befindet sich auf dem  Jüdischen Friedhof in Kassel-Bettenhausen. Diese Ruhestätte gehört zu den 63 Ehrengräbern der Stadt Kassel. Seit 1961 trägt die städtische Kindertagestätte, die auf dem Gelände der ehemaligen Synagoge (Untere Königsstraße 82) steht, den Namen von Sara Nussbaum, und 2009 wurde ein Platz im Stadtteil Kirchditmold nach ihr benannt. Die Stolpersteine für das Ehepaar Sara und Rudolf Nussbaum wurden von der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung initiiert und in gemeinsamer Patenschaft mit dem Oberbürgermeister der Stadt Bertram Hilgen verlegt und am 4. September 2014 eingeweiht.

 

Quellen:

Archiv der deutschen Frauenbewegung, Bestände NL-P-13.

Anne Belke-Herwig: Sara Nussbaum, in: Elf Frauen, elf Jahrhunderte, hg. von Sabine Köttelwesch, Elke Böker, Petra Mesic, Kassel 2013, S. 134-148.

Hans Donald Cramer: Das Schicksal der Goslarer Juden 1933 - 1945, Goslar 1986.

Hessische Nachrichten 29.11.1956.

Kasseler Post 20.6.1956.

Stadtarchiv Kassel, Bestände S1 Nr. 261; A 5.55. Nr. 160; S17 Nr. 1-4.

 

Dank:

Frau Monica Domeij-Gaul arbeitete in den Achtzigerjahren zu dem Schicksal der Kasseler Familie Nussbaum. Das umfangreiche Manuskript, darin Aufzeichnungen persönlicher Gespräche mit Sofie Reckewell, geb. Nussbaum, wurde bis heute nicht veröffentlicht. Es liegt, versehen auch mit Arbeits- bzw. Quellenmaterial, im Archiv der Stiftung der deutschen Frauenbewegung (NL-P-13) sowie im Stadtarchiv Kassel (S 17 Nr. 1-4) vor.

Ich danke Frau Domeilj-Gaul für die Erlaubnis, mit dem Material zu arbeiten und damit meine Arbeiten zu Sara Nussbaum zu ermöglichen.

Ich danke außerdem dem Prolibris Verlag für die Erlaubnis, den biografischen Artikel zu Sara Nussbaum aus dem Band »Elf Frauen, elf Jahrhunderte« als PDF anzubieten.

 

                                                                                                       (nach dem Gedenkblatt von Anne Belke-Herwig)

 

Bildnachweise:

 

Bild 1 © Stadtarchiv Kassel E1 D Ehrenbürger

Bild 2 ©Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung, NL-P -19

Bild 3 © Anne Belke-Herwig

Bilder 5 und 6: Jürgen Strube

 

Bei der Steinverelegung (von rechts) Gunter Demnig, OB Bertram Hilgen, Laura Schibbe und Kerstin Röhn
Bei der Steinverelegung (von rechts) Gunter Demnig, OB Bertram Hilgen, Laura Schibbe und Kerstin Röhn
Die ursprüngliche Schäfergasse vor der Zerstörung. Das Wohnhaus der Nussbaums ist das zweite nach dem rechtwinkligen Knick auf der rechten Seite.
Die ursprüngliche Schäfergasse vor der Zerstörung. Das Wohnhaus der Nussbaums ist das zweite nach dem rechtwinkligen Knick auf der rechten Seite.
Die Steine kurz vor der Verlegung
Die Steine kurz vor der Verlegung
Stadtplan 1943. Die Schäfergasse 28/30 befindet sich im grau markierten Bereich. Beide Abbildungen sind entnommen aus Helmut Brier/Werner Dettman, Kassel. Veränderungen einer Stadt, Fuldabrück 1986.
Stadtplan 1943. Die Schäfergasse 28/30 befindet sich im grau markierten Bereich. Beide Abbildungen sind entnommen aus Helmut Brier/Werner Dettman, Kassel. Veränderungen einer Stadt, Fuldabrück 1986.

Das Haus der Nussbaums (wahrscheinlich vor dem Ersten Weltkrieg) (Stadtarchiv Kassel S 17)
Das Haus der Nussbaums (wahrscheinlich vor dem Ersten Weltkrieg) (Stadtarchiv Kassel S 17)

 

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