David und Paul Bloch

Lindenstraße 11

Ankunft von Häftlingen in Theresienstadt - "Dachboden". Zeichnung von Bedrich Fritta.

Vater David Bloch und sein Sohn Paul sind am 25. August 1942 von Berlin mit einem ‚Alterstransport‘ nach Theresienstadt deportiert worden. Der Transport mit der Bezeichnung I/51 bestand aus 100 Personen, von denen nur 8 überlebten. Das Ghetto Theresienstadt (Terezin) wurde im November 1941 errichtet. Im Nordwesten Tschechiens gelegen, waren dort zunächst die Juden Tschechiens, später ältere Juden aus Deutschland, Österreich und Tschechien und einige tausend Juden aus den Niederlanden und aus Dänemark interniert. Es diente zu Propagandazwecken als „Vorzeigeghetto“. In Wirklichkeit war es ein Durchgangsort zu den Vernichtungslagern. Im Juni 1944 präsentierten die Nazis das Lager einer Kommission des IRK und drehten auch einen Propagandafilm über das Leben der Juden unter dem ‚Schutz‘ des Dritten Reiches. Nach Ende der Dreharbeiten wurde der Großteil der Darsteller des Films, unter ihnen fast alle Mitglieder der unabhängigen Führung und die meisten Kinder des Ghettos, in die Gaskammern von Auschwitz geschickt. Aufgrund der unerträglichen Überfüllung, der hygienischen Verhältnisse und der Unterernährung breiteten sich im Ghetto Krankheiten und Seuchen aus. 35.440 Juden kamen im Ghetto ums Leben und etwa 88.000 wurden von dort in die Vernichtungslager deportiert. Allein 1942 starben in Theresienstadt 15.891 Menschen. Bis zu seiner Befreiung im Mai 1945 gingen mehr als 155.000 Juden durch Theresienstadt. Für etwa 250 Kasseler Juden – Kinder, Männer und Frauen – war Theresienstadt Sterbeort oder letzte Station vor der Ermordung im Osten. Paul Bloch (51) starb nach drei Monaten im Lager am 30.11.1942, Vater David (80) nach vier Monaten am 4. Januar 1943.

Todesfallanzeigen für David und Paul Bloch (holocaust.cz)
Todesfallanzeigen für David und Paul Bloch (holocaust.cz)

David Bloch wurde am 17.10.1863 in Emmendingen geboren . Mutter: Sara Maier, verheiratete Bloch, Vater: Abraham Bloch. Zwei Brüder: Lazarus und Emanuel. Um 1890 Heirat mit Emma Bendix, geboren 18.02.1871 in Dülmen. Sie entstammte der vermögenden Dülmener Textil-Dynastie Bendix. In dieser Ehe ist Sohn Paul am 2.7.1891 und Sohn Hans am 15.2.1895 geboren, beide in Hamm. 1895 ist die Familie von Hamm nach Cassel gekommen und hat zunächst in der Murhardstraße gewohnt. Ab 1906 ist sie in die Villenkolonie Mulang gezogen. In den historischen Adressbüchern ist Fabrikant David Bloch von Beginn an als Eigentümer des Hauses Lindenstraße 11 vermerkt. Die Grundstücke 11 und 13 sind damals als Doppelhaus bebaut worden.

 

Kurz nach der Übersiedlung nach Cassel gründete David Bloch mit einem Partner die Offene Handelsgesellschaft Heinrich Nickel & Co, die sich mit der Herstellung und dem Vertrieb pharmazeutischer und medizintechnischer Produkte befasste. Sie wurde zu einem bedeutenden Unternehmen der Branche. Kurz nach Gründung ist Bloch nach Nickels Tod Alleineigentümer geworden. Ab 1918 wurde die Produktion auf die Erzeugung von Aluminiumwaren umgestellt. Nickel & Co stellte Aluminiumkochtöpfe her. Firmensitz war Philosophenweg 47, Standort der Fabrik Tischbeinstr. 32. Die Produkte wurden nicht nur in Deutschland verkauft, sondern auch auf dem internationalen Markt. In den 1920er Jahren hatte David Bloch Sitz und Stimme im Aufsichtsrat der Commerz- und Discontobank. Die Blochs müssen ein großes Haus geführt haben, denn im Laufe der Jahre waren viele Hausangestellte – Köche und Hausmädchen – für sie tätig.

Postkarte (ca. 1910) mit dem Haus Lindenstraße 13/11 in der Bildmitte. Hier wohnte die Familie Bloch bis 1939. (Mulang Archiv - www.kassel-wilhelmshöhe.de/villen.html)
Postkarte (ca. 1910) mit dem Haus Lindenstraße 13/11 in der Bildmitte. Hier wohnte die Familie Bloch bis 1939. (Mulang Archiv - www.kassel-wilhelmshöhe.de/villen.html)

Die beiden Söhne haben Kasseler Schulen besucht. Sohn Hans hat 1913 die Oberrealschule mit Abitur abgeschlossen. Beide sind kaufmännisch tätig gewesen. Hans Bloch war ab 1925 als Mitgesellschafter von Nickel & Co eingetragen. Am 2. März 1930 ist Emma Bloch im Alter von 59 Jahren gestorben, auch sie war für das Unternehmen tätigt gewesen. Paul Bloch wurde in den Meldeunterlagen später mit den Vermerken „ohne Beruf“ geführt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass er 1925 bis 1933 vorübergehend in der Privaten Heil- und Pflegeanstalt Ilten bei Hannover war. Etwa zeitgleich mit dem Umzug von David Bloch nach Berlin im Oktober 1939 ist Paul aus der Lindenstraße in die Grüne Villa in die Querallee 21 eingewiesen worden. Seit dem Ende der 1930er Jahre lebten in dem Haus im Besitz einer jüdischen Familie – nach Recherchen von Dietfrid Krause-Vilmar - zahlreiche Juden. Von hier ist Paul wie vorher sein Vater nach Berlin gegangen. Sie hatten getrennte Wohnungen, sind aber mit dem gleichen Transport nach Theresienstadt geschickt worden. Ihre Berliner Zeit werden sie im vergeblichen Mühen und Suchen nach einer Ausreisemöglichkeit und der Ungewissheit über die Zukunft verbracht haben. Hans Bloch hat im Jahre 1929 Jeanne Sochart aus Glasgow/Schottland in England geheiratet und ist rechtzeitig aus dem Land gegangen. Er hat letzten Endes Zuflucht in Argentinien gefunden und ist 1967 in Buenos Aires gestorben. Für den zwangsversteigerten Hausrat der Lindenstraße ist ihm nach langem Streit eine Entschädigung zugesprochen worden.

Das nicht unbedeutende Vermögen bestehend aus Villa Lindenstraße 11, Fabrik Tischbeinstraße, Wohnhaus Philosophenweg und Wertpapierdepot ist ab 1933 unter dem Druck der Naziverfolgung weit unter Wert veräußert worden und der auf einem Sperrkonto verbliebene Rest ist zu Gunsten des Deutschen Reiches eingezogen worden.

Einträge im Handelsregisterteil historischer Adressbücher
Einträge im Handelsregisterteil historischer Adressbücher

Quellen

 

Stadtarchiv Kassel

Meldeakten | Adressbücher Kassel

Stadtarchiv Dülmen

Auskünfte zur Familie Bendix

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden

Entschädigungsakten Bloch, Bestand 518 Nr. 21500 und 63086

Hessisches Staatsarchiv Marburg

Personenstandsurkunden Standesamt Kassel I

Beate Kleinert und Wolfgang Prinz: Namen und Schicksale der Juden Kassels, Hg. Stadt Kassel 1986

Bundesarchiv

Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945

holocaust.cz

geni.com zur Familie Emanuel Bloch

Wolfgang Werbs in: Dülmener Heimatblätter Heft 1 (2003) zum Textilunternehmen Bendix

 

Jochen Boczkowski, Dezember 2020

 

 

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