Heinrich und Klara Treiser

ihre Töchter und Söhne

Sophie, Lilli, Josef, Adolf, Michael, Ruth Regina, Blima und Bernhard

Mönchebergstraße / Ecke Ysenburgstraße (früher Mönchebergstraße 26)

Im August 2017 erhält Gunter Demnig eine Mail:

Lieber Gunter

Ich heiße Gil Treiser, lebe in Israel. Mein Vater ist 1921 in Kassel geboren. Er war das 12. und letzte Kind einer Familie. Das Haus der Treisers stand in Kassel, Mönchebergstraße 26. Heute ist da ein Spielplatz. Die Familie verließ Deutschland wegen der Naziverfolgung. Die meisten gingen nach Israel. Kann man einen Gedenkstein an dem Grundstück setzen?

Freundliche Grüße Gil.

 

Die Anfrage wird an Kassel weitergeleitet. Beim Empfänger macht es Klick, weil er vor 60 Jahren einen Josef Treiser kennengelernt hat. Josef war in Kassel wegen ehemaligen Treiser-Grundstücken in Kassel am Möncheberg und Entenanger. Und aus diesem Mix – Mail aus Israel und Erinnerung des Verfassers dieser Zeilen – sind Stolpersteine geworden.

 

Auf dem untenstehenden Bild sind 11 Personen. Sie alle haben, unterschiedlich lang, in der Mönchebergstraße gewohnt. Auch Josef, der um diese Zeit nach Biebrich am Rhein abgemeldet war. Das Wichtigste: Alle konnten das Land in den Jahren 1933 bis 1936 auf verschiedenen Wegen verlassen. Sie sind damit der Vernichtung entgangen.

von links nach rechts: Michael, Leo, Blima, Oma Klara, Sophie, Bernhard Chaim, Lilli, Ruth Regina, Opa Heinrich, Adolf und Rosa

Vom Stadtarchiv Coburg erfahren wir, dass Heinrich Treiser von Böhmen kommend erstmals 1898 in Coburg registriert worden ist. Geburtsdatum 18.10.1875 in Bohorodczany (Ostgalizien/Ukraine). Seine Frau Klara ist als geborene Kornfeld, geschiedene Goldberg etwas später erfasst, Geburtsdatum 25.12.1876 in Rzepienik (Westgalizien/ Polen). In Coburg waren die Treisers von 1898 bis 1901 und von 1904 bis 1911. Dazwischen lag ein Aufenthalt in Hildburghausen. Die Eheschließung datiert Mutter Klara auf das Jahr 1902.

Im Jahre 1912 sind Heinrich und Klara Treiser zusammen mit 6 Kindern aus Hagen in Westfalen nach Kassel gekommen.

Leo Kornfeld *23.2.1901 in Paderborn

Sophie *27.5.1903 in Häselrieth/Hildburghausen

Lilli *15.7.1905 in Coburg

Josef *6.6.1907 in Coburg

Adolf *29.4.1909 in Coburg

Michael *13.10.1911 in Hagen

Sie wohnten in der Mittelgasse, Am Phillipsplatz, in der Entengasse und ab 1919 in der Mönchebergstraße. Die Familie wuchs weiter:

Rosa *1.5.1914 in Kassel

Ruth Regina *2.3.1916 in Kassel

Blima *26.1.1918 in Kassel

Bernhard *6.11.1921 in Kassel

Alle Kinder sind in der Großen Rosenstraße in die jüdische Volksschule gegangen. Die Jungen haben nach der Schule eine Lehre im Kaufhaus Leonhard Tietz absolviert, während über die Ausbildung der Mädchen nirgendwo eine Aussage zu finden ist.

Früher sind die Treisers mit dem Korb auf dem Rücken, der Kötze, von Haus zu Haus, von Dorf zu Dorf gezogen. Haben Textilien und Haushaltswaren angeboten. Heinrich

und Klara müssen fleißige und geschäftstüchtige Leute gewesen sein. Im Adressbuch 1913 firmiert Heinrich Treiser als Händler. Aber schon 1915 findet sich der Eintrag für einen Laden. Und 1925 firmieren unter dem Namen Woll-Treiser zwei Geschäftslokale. 1933 gab es in der Unteren Königsstraße 63, ganz nah am Königsplatz, und der Hohenzollernstr 1 weitere Geschäfte. Inhaberin aller Geschäfte war Klara Treiser. Die Grundstücke Entenanger, Tränkepforte und Mönchebergstraße standen im Eigentum von Klara Treiser.

Familie Treiser bei der Gartenarbeit, Sonntag 18. Mai 1930
Familie Treiser bei der Gartenarbeit, Sonntag 18. Mai 1930

Die Familie ist religiös. Es gibt getrennte Speisekammern im Haus Mönchebergstraße, eine für Milch-, die andere für Fleischprodukte. Zum Pessachfest wird Matzen gebacken. Auch als mehrfache Hausbesitzer und Geschäftsinhaber werken sie nach Feierabend in ihrem Garten (siehe Foto rechts).

Aus den Meldeakten des Stadtarchivs Kassel geht hervor dass die erwachsenen Söhne und Töchter kreuz und quer im Deutschen Reich unterwegs waren, aber immer wieder zum Hafen Mönchebergstraße zurückgekehrt sind. Erwähnenswert sind die mehrfachen Reisen Lillis nach Palästina in den Jahren 1925 bis 1930. Auch Tochter Sophie ist schon Mitte der 1920er Jahre in Palästina gewesen. Josef war schon kurz nach der Schulentlassung unterwegs in Biebrich, Braunschweig, Duisburg und Stettin. Dabei werden neben dem Beruf auch seine politischen Aktivitäten bei der KPD eine Rolle gespielt haben.

 

Klara Treiser schildert 1956 die Ereignisse des Jahres 1933:

"April 1933 wurde durch die SA eine Durchsuchung aller meiner Geschäfte durchgeführt. . . . Im Zuge dieser Durchsuchung erlitt mein Mann einen Nervenzusammenbruch. Mein Mann verließ in der Folge die Stadt und es gelang ihm, im Mai 1933 über die Grenze nach Polen zu flüchten. Aus Polen ist er als Tourist nach Palästina gefahren. Ich selbst bin im Februar 1934 ebenfalls als Touristin nach Palästina gefahren und überließ die Weiterführung meiner drei Geschäfte meinen Kindern Michel, Adolf und Röschen. . . . . .

Im Jahre 1935 wurden meine o.g. Kinder in Cassel verhaftet und die Nazis setzten einen Zwangsverwalter ein. So wurden meine Kinder bzw. ich gezwungen, alle 3 Geschäfte zu Schleuderpreisen zu verkaufen. . . . . . Nach einer ungefähr 6 Monate langen Haft, während welcher meine Kinder im Gefängnis in der Leipzigerstraße waren, wurden sie entlassen und erhielten Erlaubnis zur Ausreise. ...

Im Jahr 1934, kurz nach meiner Einwanderung hier im Lande gründete ich in Tel Aviv Benjaminstrasse ein Strickwolle-Geschäft. ... Mein Mann starb hier im Lande 1946."

 

Wenn Klara und die ganze Familie nach ihrer Emigration ins britische Mandatsgebiet Palästina relativ schnell Fuß fassen konnten, so kann das auch mit den früheren Palästina-Aufenthalten von Lilli und Sophie zusammenhängen.

Michael Treiser als Fußballer des CSC 03 Kassel um 1925 - Blümchen Treiser auf dem Schiff von Triest nach Palästina 1934 - Bar Mizwa von Bernhard Treiser 1935 in Tel Aviv

Der auf dem Familienfoto fehlende Josef Treiser hat sich nach einer kaufmännischen Ausbildung schon früh auf eigene Beine gestellt. 1924, 17 Jahre alt, Mitglied der KPD, Übernahme von Funktionen. Nach der Machtübertragung an die Faschisten geht er ins Exil nach Belgien und später nach Frankreich. Ab 1943 ist seine Zugehörigkeit zur Widerstandsbewegung, den Franc Tireurs et Partisans, belegt. Als Leutnant, später Major beteiligt er sich am militärischen Kampf gegen die deutschen Besatzer und hilft mit, Europa vom Nazismus zu befreien. 1945 wird er demobilisiert. 1950 kehrt er in die BRD zurück und besucht seine Familie in Israel.

Von den hier genannten Mitgliedern der Familie Treiser lebt keiner mehr. Auch die Stätten an denen sie gelebt und gearbeitet haben, sind nicht mehr im Ursprung vorhanden. Deshalb ist es wichtig daran zu erinnern, dass die rassistische Ausgrenzung und Vernichtung der Juden ein unmittelbarer Bestandteil des von Deutschland entfesselten Krieges in Europa und der Welt war.

Angehörige der Familie Treiser, insbesondere Bernhard Treiser waren schon 1958 wieder in Kassel. 1997 war die Herausgabe des Bildbandes Geschichte und Gegenwart einer Straße Anlass für eine Ausstellung im Stadtmuseum und für einen Besuch von Bernhard mit Familie in Kassel.

Seine Frau Zipora hat in Vorbereitung der Stolper-steine alle Nichten und Neffen gefragt, ob sie einver-standen sind, dass für ihre Eltern Steine gesetzt werden. Acht von ihnen haben zugestimmt.

 

Quellen und Literatur:

 

Stadtarchiv Kassel, StadtA KS A 3.32 HB 456, 510, 463

Adressbücher Kassel

Staatsarchiv Wiesbaden, Entschädigungsakten 518, 59963, 71634, 71675

Axel Engelhardt / Alexander Link / Karl-Hermann Wegner, Am Möncheberg – Geschichte und Gegenwart einer Straße, Kassel 1997

Forum Wesertor 2

Stadtarchiv Coburg

Bilder aus Privatbesitz Treiser

Mündliche und Schriftliche Auskünfte von Zipora und Eddi Treiser

 

Jochen Boczkowski, Februar 2018

 

Verlegung am 5. März 2018               Fotos davon gibt es hier

 

 

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