Flora, Sally und Gerd Siegfried Frankenthal

Nebelthaustraße 14

Im September 2019 kam eine Anfrage von Roberto Frankenthal aus Bad Cannstadt, ob wir auch für Geflohene Stolpersteine legen würden. Es gehe um seinen aus Kassel stammenden Vater und die Großeltern. Er selbst sei in Argentinien geboren und lebe seit 1986 in der BRD. In Cannstadt habe er in der Nachbarschaft Stolpersteine gesehen. Über die Suchworte „stolpersteine + kassel“ ist er auf unseren Verein gestoßen.

Eine erste Recherche im Gedenkbuch Kassel „Namen und Schicksale der Juden Kassels 1933 – 1945“ ergab, dass die Frankenthals 1933 in Kassel, Nebelthaustraße gemeldet waren und nach Notizen Frömsdorfs im Exemplar des Stadtarchivs entweder 1934 oder 1937 nach Argentinien geflohen sind. In diesem Buch sind mit Stichtag 30. Januar 1933 alle in Kassel gemeldeten Juden mit ihren damaligen Anschriften aufgeführt. Es enthält 2.500 Namen. In einem weiteren Abschnitt sind 900 weitere Namen gelistet von jüdischen Menschen, die in den Jahren bis 1945 geboren bzw. zugezogen sind.

Nach Sichtung der im Stadtarchiv Kassel befindlichen Meldeakten konnte geklärt werden: Die Abmeldung nach Buenos Aires war 1937. Und noch viel mehr kam zu Tage.

 

Sally Frankenthal ca. 1925
Sally Frankenthal ca. 1925

Sally Frankenthal ist am 18. März 1894 in Medebach, Krs. Brilon, heute Hochsauerland geboren. Seine Eltern waren ‚Handelsmann‘ Schafti Frankenthal und Ehefrau Rebecka geborene Sommer. Er hatte vier Geschwister (Gustav, Rebekka, Selma und Julius). Kindheit und Schulzeit liegen im Dunkel. Im Ersten Weltkrieg hat er wie viele seine Haut für imperiale Kriegsziele zu Markt getragen und ist in den Jahren 1915/1916 in französischer Kriegsgefangenschaft gewesen.

1919 meldete sich der 25-jährige in Cassel an. Unter Stand oder Gewerbe heißt es in der Meldekarte: Kaufmann. Ein Jahr später findet sich im Adressbuch der Eintrag : „Frankenthal & Co., Chem. techn. Fabrikate, Wilhelmshöher Allee 257“ und korrespondierend dazu im Handelsregisterteil: „Frankenthal & Co. Pers. haft. Ges. Sally Frankenthal u. Adolf Wertheim“. Diese Firma bestand bis 1937, allerdings ab 1923 in der Branche Hotelwäschefabrik.

Im Januar 1923 heiraten Sally Frankenthal und die gleichaltrige Flora Adler. Flora stammt aus Hintersteinau im Kreis Schlüchtern, heute Main Kinzig. Sie ist am 20. April 1894 als Tochter von Minna und Baruch Adler geboren. Sie hat eine kaufmännische Lehre absolviert und war in mehreren Firmen als Verkäuferin tätig, zuletzt fast drei Jahre im Kaufhaus Leonhard Tietz in Cassel. Ein Abschlusszeugnis bestätigt die mustergültige Leitung ihrer Abteilung.

Das Paar wohnt zunächst in der Amalienstraße, bevor es nach einigen Wechseln in die Nebelthaustraße zieht. Am 3. Januar 1924 kommt Sohn Gerd Siegfried zur Welt. Er hat eine öffentliche Schule besucht. Es ist anzunehmen, dass er 1930 in der Bürgerschule Königstor eingeschult worden ist, denn die Wohnung der Familie befand sich in unmittelbarer Nähe.

Flora Frankenthal (ca. 1925) - Ihr Zeugnis bei ihrem Ausscheiden beim Kaufhaus Tietz - Vater und Sohn (1937)

Die Firma Frankenthal & Co. – Hotelwäschefabrik – ist bis 1933 gut gelaufen. Zu den Kunden gehörten große Hotels, die mit Tisch- und Bettwäsche beliefert wurden. Es waren bis zu 15 Näherinnen beschäftigt. Während die Inhaber auf Kundentour unterwegs waren, hat Flora den Betrieb geleitet. Im Entschädigungsverfahren wird auf einen Kundenstamm von 100 Betrieben verwiesen. Der Sitz des Unternehmens befand sich in der Kurfürstenstraße 10 im Hinterhaus. Ab 1933 war ein deutlicher Rückgang von Umsätzen und Ertrag im Zuge des nazistischen Boykottaufrufs „Kauft nicht bei Juden“ festzustellen, die im Jahr 1936 völlig einbrachen. Nach Auflösung der Firma, der unter Verlusten abgewickelt wurde, gelang die gemeinsame Ausreise von Hamburg aus. Sally, Flora und der damals 13 Jahre alte Gerd verließen das Land mit der Monte Sarmiento der Hamburg-Süd. Möbel und Hausrat sind in zwei Lifts mit Hilfe der Spedition Heinrich Wenzel nach Argentinien verschifft worden. Bei dem von den Nazibehörden genehmigten Erwerb von Devisen mussten die Frankenthals einen 100% Aufschlag gegenüber dem regulären Kurs hinnehmen. Abzocke von Flüchtlingen war schon immer Methode.

Sally Frankenthal schreibt über die ersten Jahre der Emigration:

In Argentinien lebte ich vom Tage meines Eintreffens in Buenos Aires von allen sich mir bietenden Gelegenheitsarbeiten als gewöhnlicher Arbeiter. Ab 1. Januar 1938 beschäftigte ich mich mit meiner Frau und meinem Sohn mit dem Waschen von Herrenanzügen und nachdem ich mich eingearbeitet hatte, mietete ich einen Raum. . . . . Infolge der schweren Arbeit erkrankte ich im Jahre 1945. . . . . Ende 1948 gaben wir dieses Unternehmen auf und ich übernahm einige Vertretungen in Haushaltsartikeln.

Sally Frankenthal ist 1958 in Buenos Aires gestorben, seine Frau Flora, geb. Adler 1972.

Floras Vater Baruch Adler, geboren 15.04.1868 in Hintersteinau, zuletzt wohnhaft im Jüdischen Altersheim Frankfurt/M, ist am 22.11.1941 nach Kowno deportiert und dort ermordet worden. Todesdatum 25. 11.1941 in Kowno, Fort IX. ( https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%A4ger-Bericht )

Von Kassel nach Buenos Aires: Gerd Frankenthal 1927 und 1930 in Kassel, 1939 in Buenos Aires
Von Kassel nach Buenos Aires: Gerd Frankenthal 1927 und 1930 in Kassel, 1939 in Buenos Aires
Diana, Roberto, Ruth, Rosa, Pedro und Gerd Frankenthal (1968)
Diana, Roberto, Ruth, Rosa, Pedro und Gerd Frankenthal (1968)

 

Quellen

 

Stadtarchiv Kassel

Arbeitsbuch Frömsdorf = III F j 5b | Meldeakten | Adressbücher Kassel

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden

Entschädigungsakten Frankenthal, Best. 518 13372 + 13373

Hessisches Staatsarchiv Marburg

Personenstandsurkunden Standesamt Kassel I und Standesamt Hintersteinau

 

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/

Auskünfte und Fotos von Roberto Frankenthal

https://www.juedisches-leben-in-ingenheim.de/de/die-menschen/namen-und-leben/marx-sigmund- siegfried-1896/41/pid,2117/marx-sigmund-siegfried-1896.html

 

Jochen Boczkowski, Dezember 2020

 

 

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