Eduard Wilhelm

Firnskuppenstraße 3

Nachstehender Text stammt aus Willi Belz: „Die Standhaften – Über den Widerstand in Kassel und Hessen Waldeck 1933-1945“. Willi Belz hat als erster den antifaschistischen Widerstand in Nordhessen thematisiert. Ihm ist es zu verdanken, dass die Namen von 75 Widerständigen nicht vergessen sind, auch Ede Wilhelm nicht.

Eduard Wilhelm ist am 10. August 1909 in Wehlheiden geboren. Seine Eltern waren Eduard Wilhelm, Jg. 1871 und Marie Lichte. die 1896 in Wehlheiden geheiratet haben. Sie wohnten im 4. Stock des Hauses Sternbergstraße 2. Er ist in einer Arbeiterfamilie mit zwei älteren Geschwistern großgeworden und in die Bürgerschule 17 im Kirchweg 1 gegangen. Nach einer Schlosserlehre hat er unregelmäßig in Arbeit gestanden. Die 20-er Jahre waren geprägt von Massenarbeitslosigkeit und -elend der Arbeiterklasse. So weist beispielsweise eine Aufrechnungsbescheinigung für Eduards Rentenversicherung nur 230 Wochenbeiträge im Zeitraum 1927 bis 1936 nach. Das heißt, nur die Hälfte der Zeit war durch Beiträge belegt.

Die junge Familie vor dem Schloss Wilhelmshöhe (1931)
Die junge Familie vor dem Schloss Wilhelmshöhe (1931)

Am 19.4.1930 heiraten der 21-jährige Eduard und Anna Katharina Buchheister aus Harleshausen. Sie können die ersten Jahre bei den Eltern der Braut in der Bachstraße (heute Hirtenweg, für alte Harleshäuser = Fettloch) einziehen. In diesem Haus wohnten damals 7 Wohnparteien. Dort kommt auch ihr Sohn Horst auf die Welt (24.9.1930).

Kurz nach der Hochzeit wird Eduard erneut arbeitslos. 1933 wird er als Schlosser bei den Flugzeugwerken Fieseler eingestellt. Die Arbeitsaufnahme fand zeitgleich mit der Verlagerung der Firma Fieseler von Ihringshausen nach Bettenhausen statt und dem Umstieg auf Rüstungsproduktion. Sein durchschnittlicher Wochenlohn betrug 50 RM. Ab 1933 finden sie eine Wohnung im Hause Firnskuppenstraße 3.

Ab 1930 organisiert er sich in der Solidaritätsorganisation Rote Hilfe und im Kampfbund gegen den Faschismus. Er hatte in Kassel etwa 1000 Mitglieder. In Harleshausen stand er unter Leitung von Heinrich Kröger mit 36 Leuten. Nach dem Verbot trat er der Ortsgruppe der Harleshäuser KPD bei, die auch nach dem Verbot in der Illegalität noch zusammenkam. Harleshausen gehörte zu Hochburgen der KPD im Bezirk Hessen-Waldeck. So erreichte sie bei den Reichstagswahlen 1932 einen Stimmanteil von 25 %. Nicht zuletzt durch das Wirken von Traugott Eschke, für den in der Firnskuppenstraße ein Stolperstein liegt.

Wegen Corona wartet der Stein auf die Verlegung
Wegen Corona wartet der Stein auf die Verlegung

Eduard wurde am 23. Juni 1935 durch die Gestapo verhaftet und in das Polizeigefängnis im Königstor eingeliefert. Edes Witwe schreibt im späteren Wiedergutmachungsverfahren „Erst im Untersuchungsgefängnis Leipziger Straße, also nach über ¼ Jahr, war es mir möglich, meinen Mann in Abständen von 3 Wochen kurz zu besuchen. … Immer wenn ich meinen Mann bat, mir den Grund seiner Inhaftierung bekannt zu geben, erklärte der Aufsichtsbeamte, daß er darüber nicht sprechen dürfe, andernfalls müsste die Besuchsstunde sofort abgebrochen werden. Trotzdem weiß ich, daß in 1936 erstmalig eine Anklageschrift gegen ihn ergangen ist, und zwar wegen Hoch- und Landesverrat“. Etwa 20 Genossinnen und Genossen gerieten ebenfalls ins Fadenkreuz der Nazis, darunter Traugott Eschke, Paula Lohagen, Kurt Finkenstein, Franz Buda, Erich Weinert, Justus Krug. Sie haben die Befreiung nicht mehr erlebt.

Im September 1936 ist Eduard Wilhelm ins Zuchthaus Wehlheiden eingeliefert worden. Er war dort als Untersuchungsgefangener bis zum 1. September 1938 eingekerkert. Nach insgesamt 2 ½ Jahren Haft hat er seinem Leben selbst ein Ende gesetzt.

Für die Angehörigen begann nach der Verhaftung eine schwere Zeit. Katharina und ihr Sohn Horst (damals 7 Jahre) konnten die Wohnung nicht mehr bezahlen und sich nur mit Hilfe der Verwandtschaft über Wasser halten. Nach der Befreiung musste im „Wiedergutmachungsverfahren“ nachgewiesen werden, dass Eduard aus politischen Gründen verfolgt und sein Selbstmord eine Folge jahrelanger Haft war. Eine Witwen- und Waisenrente konnte erstritten werden.

 

Zeitzeuge K. (1905 – 1972) aus W. bezeugt in 1951:

Sterbeurkunde von Eduard Wilhelm

 

Nr. 22

 

Kassel, am 3. Januar 1938

 

Der Polizeipräsident in Kassel hat mitgeteilt,

daß der Schlosser Heinrich Eduard Wilhelm,

28 Jahre alt

wohnhaft in Kassel, Lerchenfeldstraße 2,

geboren zu Kassel am 10. August 1909,

verheiratet mit Anna Katharina, geborene Buchheister,

zu Kassel, auf dem Graß 12,

am zweiten Januar des Jahres

tausend neuhundert achtunddreißig

vormittags um sieben Uhr

tot aufgefunden worden sei. Tag

und Stunde des Todes konnten nicht festgestellt

werden. Der Verstorbene wurde tagszuvor

um sechs Uhr nach-

mittags zuletzt lebend gesehen (Vorstehend

21 Druckworte gestrichen).

 

Der Standesbeamte

In Vertretung:

Seelemann

Die Übereinstimmung mit dem Hauptregister beglaubigt

Kassel, am 3 ten Januar 1938

Der Standesbeamte

Seelemann

 

Bescheinigungen für Eduard Wilhelm aus de Nachkriegszeit.

 

 

Quellen und Literatur

 

Stadtarchiv Kassel

Meldekarte Eduard Wilhelm │ Best. A 3.35.1 Standesamt KS I, Sterberegister 1938

Adressbücher Kassel

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden

Entschädigungsakte Wilhelm, HHStAW Bestand 518, 7068

Christine Fischer-Defoy, Arbeiterwiderstand in der Provinz, 1982 VSA

Willi Belz, Die Standhaften – Über den Widerstand in Kassel und Hessen-Waldeck 1933 – 1945, 1978 im Selbstverlag

 

 

Jochen Boczkowski, Januar 2021

 

 

 

 

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