Arno, Isidor und Marta Stern

Breitscheidstraße 17

Marta Stern, geb. David                         Isidor Stern                           Arno Stern auf dem Hindenburgplatz (August-Bebel-Platz)

Isidor Stern wurde 1895 in Schotten als Sohn frommer Juden geboren, hatte freiwillig im Ersten Weltkrieg als Soldat gedient und war verwundet worden. 1922 zog der Kaufmann in die Karthäuserstraße 17 als Untermieter ins Hinterhaus. Noch in der schwierigen Inflationszeit heiratete er 1923 die aus Eberbach stammende Marta David in ihrem Heimatort. Nach der Hochzeit führte er zusammen mit seinem Schwager zunächst die Firma Hornbein, die u. a. Kämme und Knöpfe herstelle, trat aber bald aus dem Betrieb aus und gründete, wie sich sein Sohn erinnert, eine Bausparkasse. Arno Stern kam 1924 zur Welt. Die kleine Familie lebte zunächst noch in der „Junggesellenstube“ des Vaters und durfte die Küche mitbenutzen, wohnte von 1927 bis 1929 weiterhin als Untermieter in der Eulenburgstraße 19 (Lassallestraße), ehe sie schließlich eine eigene Wohnung in einem Neubau in der Auguste-Viktoria-Straße 17 (Breitscheidstraße) beziehen konnte. Arno wurde 1930 in die heutige Herkulesschule eingeschult, bestritt den Schulweg zu Fuß und erinnert sich noch heute an so manche Einzelheit aus dem Vorderen Westen. Seine glückliche Kindheit in Kassel endete abrupt, nachdem die Nationalsozialisten 1933 an die Macht gekommen waren. Deren brutale Machtergreifung in der Stadt, die sich gegen politische Gegner und Juden richtete, bewog seine Eltern schon im April, ins schützende Ausland zu fliehen. Daran erinnert sich Arno Stern so: „Mein Vater war so klug, die Gefahr, die auf uns lauerte, sofort zu erkennen und so flüchteten wir schon im April 1933 aus dem III. Reich. Von den ersten Misshandlungen wusste mein Vater, insbesondere von dem, was mit Dr. Dalberg und Plaut  geschah. (…)

Wir hinterließen die Wohnung und fuhren mit einem Bekannten in einem gemieteten Auto zu den Großeltern nach Schotten, wo mein Vater nur eine Nacht verbrachte, bevor er an die französische Grenze weiterfuhr. Er entschlüpfte dem deutschen Zollbeamten, der in seinem Amt-Zimmer Handschellen holte, in dem er über die Schranke sprang, und so war er schon auf französischem Boden, als der andere ihn festnehmen wollte. Meine Mutter folgte ihm einige Tage hernach über die Grenze bei Basel, und ich wurde einen Monat später von einer Tante an die Grenze gebracht.“ Wenige Wochen nach der Flucht der Familie fand das gesamte Inventar der Wohnung bei einer Versteigerung neue Besitzer, aus der Schule war Arno plötzlich verschwunden.

Eltern und Sohn waren entkommen – anders als die allermeisten aus ihrer Verwandtschaft. Dazu schreibt Arno Stern: „Den meisten der lieben dort Verbliebenen scheint kein Engel ins Ohr geflüstert zu haben: ‚Steht auf, lasst alles zurück, rettet euch!‘ Eltern und Geschwister, Onkel, Tanten, Vettern und Kusinen … ließen sich  entwürdigen, foltern, verbrennen, weil sie glaubten, nirgendwo anders als im Lande Goethes, Schillers und Beethovens leben zu können – in ihrer Heimat, unter dem höchstkultivierten Volk der Erde. Dieses Erbe hing schwer an ihnen, versperrte den Weg in eine nackte Zukunft. In ihrem tiefsten Inneren galten wir damals als Ausreißer – ich hätte fast gesagt als Fahnenflüchtige. (…) Keiner von ihnen hat Hitlers Gaskammern überlebt.“

Die kleine Familie gelangte zunächst nach Mühlhausen, 1934 musste sie das Grenzgebiet verlassen und lebte in Montbéliard. Mit dem Kriegsausbruch diente Isidor Stern freiwillig in einem Hilfsdienst der französischen Armee. Seit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Frankreich waren Mutter und Sohn auf der Flucht in den Süden und entgingen nur knapp der Verhaftung, später folgte ihnen der Vater nach Valence, wo die Familie eine Zeit lang in extremer Armut und ständiger Unsicherheit und Angst wohnte. Einer Verhaftung entging sie durch die Flucht in die Berge und lebte versteckt zunächst bei einem Holzhändler und dann einem Bauern, bevor es ihr 1943 auf abenteuerliche Weise gelang, in die Schweiz zu kommen. Hier war sie – meist getrennt - drei Jahre lang in verschiedenen Lagern interniert, bevor sie 1946 wieder nach Montbéliard zurückkehren konnte.

Arno Sterns Leben nahm eine entscheidende Wendung, als er mit 22 Jahren 1946 eine Stelle in einem Heim für Kriegswaisen in einem Pariser Vorort annahm. „Er sollte die Kinder beschäftigen. Er ließ sie malen und begriff sofort die Wichtigkeit dieses Spieles, vorausgesetzt, daß es unter geeigneten Bedingungen geschieht. Er erfand dafür eine besondere Einrichtung, die bis zum heutigen Tage weiterbesteht: den Malort, mit den schützenden Wänden und dem Palettentisch.“ Diese Einrichtung und die zahlreichen Aktivitäten des auch von der UNESCO geschätzten Pädagogen Arno Stern, die bis heute andauern, fanden und finden noch immer ein weltweites mediales Echo.

Isidor Stern starb 1978, Marta Stern 1981. Arno Stern lebt in Paris.

Sozusagen alle Medien haben von der originellen Einrichtung Arno Sterns berichtet. Nicht nur in französischen Zeitungen und Zeitschriften, sondern auch in Publikationen in vielen anderen Ländern sind Artikel, Reportagen, Interviews und Filme über seine Arbeit sowie Aufsätze von ihm selbst erschienen.

Arno Stern wurde als Experte der UNESCO zum ersten internationalen Kongress über Kunsterziehung in Bristol delegiert. Er nahm in der Folge an zahlreichen Symposien teil und gastierte als Referent in vielen Universitäten, Museen, Bildungs- und Ausbildungsstätten. Er wurde beauftragt, in zwei bedeutenden Pariser Spitälern Ateliers einzurichten, und arbeitete lange Zeit mit psychisch kranken Kindern und Erwachsenen. Von Arno Stern ausgebildete Mitarbeiter führten diese Arbeit auch in Schulen, Pflegeheimen, Kulturzentren ein. 10 Jahre lang leitete er eine Ausbildungsstätte (EPREC) in Räumlichkeiten, die ihm die Pariser Stadtverwaltung zur Verfügung stellte. Er nahm dort Studierende aus vielen Ländern auf. Regelmäßig finden in verschiedenen Ländern Einführungsseminare und gründliche Ausbildungskurse statt. So hat Arno Stern im Laufe der letzten 30 Jahre Hunderte von Malortbetreuern herangebildet.“

Die Familie bei Bauern in Frankreich                                                Arno Stern malt mit Kindern (1946)

Quellen und Literatur

 

Arno & André Stern, Mein Vater, mein Freund - das Geheimnis glücklicher Söhne, München 2011

Stadtarchiv Kassel, Meldekartei

Brief von Arno Stern an W. Matthäus vom 11.11.2015

 

zusätzliche Informationen

 

Wolfgang Matthäus, Febraur 2016

 

(Die Verlegung der Stolpersteine regte Lydia Stumm an, Sie finanzierte diese auch.)

 

 

Die Ziele des Vereins

Hier können Sie Kontakt mit uns aufnehmen.