Johanna, Levi und Arthur Katz

Querallee 36

Es gab zahlreiche Familien Katz in Kassel - wie auch andernorts. Im Kasseler Gedenkbuch zu den Juden in Kassel sind für das Jahr 1933 fast 100 Gemeindemitglieder mit diesem Namen verzeichnet. Nach dem Gedenkbuch für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus des Bundesarchivs waren unter ihnen 1408 Träger dieses Namens. Eine ganze Reihe von Stolpersteinen in Kassel erinnert an verschiedene Kasseler Familien Katz, die meist nicht miteinander verwandt waren. Der Name verweist auf das biblische Priestergeschlecht der Kohanim, dessen Symbol die segnenden Hände sind, und ist eine Verkürzung von C(K)ohen. Eine andere Abwandlung des Namens ist zum Beispiel Kahn. Die Fotos zeigen das Symbol der segnenden Hände auf Grabsteinen des jüdischen Friedhofes in Züschen, wo es zahlreich zu finden ist. Rechts der Grabstein von Jakob Katz, dem 1874 im Alter von 14 Jahren bereits verstorbenen ältesten Bruder von Levi Katz.

Arthur Katz (Foto auf seiner Kennkarte für Juden). Leider ist es nicht gelungen, Fotos von Johanna und Levi Katz zu finden.
Arthur Katz (Foto auf seiner Kennkarte für Juden). Leider ist es nicht gelungen, Fotos von Johanna und Levi Katz zu finden.

Die Familie von Levi Katz war schon seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in dem Kleinstädtchen Züschen bei Fritzlar ansässig, Levi Katz gehörte bereits der sechsten Generation seiner Familie an. Der (wahrscheinlich) 1833 geborene Vater Salomon war Kaufmann und hatte mit seiner Frau Sara geb. Hahn aus Kirchberg fünf Kinder: den bereits mit elf Jahren verstorbenen Jacob, die Tochter Bertha sowie die Söhne Levi (*1861), Daniel (*1866) und Abraham (*1868). In einer Zeit rascher gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderungen eröffneten die Eltern ihren Söhnen Bildungsmöglichkeiten, die es auf dem Land nicht gab, was dazu führte, dass die drei Brüder ihre berufliche Zukunft in Kassel fanden. Das entsprach einem Trend der Zeit des Zuzugs aus der Provinz in die größeren Städte. Levi Katz besuchte zunächst eine Schule in Korbach, später ein Realgymnasium in Kassel. 1890 meldete er sich erstmalig in Kassel an, im gleichen Jahr gründete er mit seinem Bruder Daniel unter der  Bezeichnung „Gebr. Katz“ eine Baumwollwarengroßhandlung, die später unter anderem auch als Manufaktur- und Modewarenhandlung  unter verschiedenen Adressen im Umfeld des Hauptbahnhofs und heutigen „Schillerviertels“ firmierte. Wahrscheinlich 1891 heiratete er die 1867 in Gießen geborene Johanna Rosenthal. Der Sohn Ludwig Arthur wurde 1894 geboren, die Tochter Clara Margarethe 1902. Levi Katz‘ Vater Salomon war von 1892 bis zu seinem Tod am 29. September 1894 als Rentier bei seinem Sohn Daniel in der Bahnhofstraße 18 gemeldet.

 

Die Kleiderfabrik

 

Gemeinsam mit seinem Bruder Daniel  gründete Levi Katz 1898 die Kleiderfabrik S. Katz & Söhne GmbH, die seit 1900 in der Gießbergstraße 1 Berufsbekleidung und Kleidung für andere Zwecke in einer eigenen Produktionsstätte, aber auch auf der Basis von Heimarbeit produzierte. Das Haus hatten die Brüder im Jahr 1900 erworben, die Kleiderfabrik gliederten sie dem bestehenden Unternehmen Gebr. Katz an. Noch über eine längere Zeit hinweg sind allerdings beide Unternehmen nebeneinander im Adressbuch zu finden. Noch vor 1910 wurde der jüngste Bruder Abraham Teilhaber, der bereits als Prokurist für die Firma tätig war.

 

Die umfangreiche Produktpalette der „Casseler Hemden- und Kleiderfabrik“, wie sie sich zeitweise nannte, zeigt ein im Stadtmuseum Kassel erhaltener 64-seitiger Katalog aus dem Jahr 1912 auf. Es finden sich hier Angebote für zahlreiche Berufsgruppen ebenso wie für Kinder, Damen und Herren für fast alle Anlässe und Jahreszeiten.

Mit Wirkung vom 26. März 1923 wandelten die Brüder Katz die GmbH in eine Aktiengesellschaft um. Das Aktienkapital im Wert von 300.000 RM hielten sie zu gleichen Teilen allein. Direktion, Aufsichtsrat und andere Funktionen in dem Unternehmen wurden und blieben fast ausschließlich mit Familienmitgliedern besetzt. In den 1920er Jahren arbeiteten für den Betrieb neben den Familienangehörigen in leitenden Funktionen mindestens etwa 120 gewerbliche Arbeitnehmer/innen, etwa zehn Heimarbeiterinnen, kaufmännisches Personal, zwei Kraftfahrer und zwei Handelsreisende. Das Unternehmen verfügte über einen Lieferwagen und drei PKW. Auf dem der Firma gehörenden Betriebsgelände in der Gießbergstraße 1 und 1a gab es Büroräume, Lager- und Versandräume sowie Produktionsräume: u. a. einen Raum für die Handnäherei sowie Nähsäle mit Schnellnähmaschinen und amerikanischen Spezialmaschinen – z. B. für Knopflöcher, zudem eine ganze Reihe von Wohnungen, die Mieteinnahmen garantierten. So nach den Aussagen des damaligen „Chefbuchhalters“ Vialon in einem Gerichtsverfahren der Nachkriegszeit.

Abbildungen aus dem Katalog von 1912.
Abbildungen aus dem Katalog von 1912.

Offenbar erlitt die Firma in der Weltwirtschaftskrise am Ende der 1920er Jahre Gewinneinbußen, was mit der Etablierung der NS-Herrschaft 1933 noch verschärft wurde. Familienmitglieder gerieten in das Visier der Nazis, die Firma litt unter Boykottmaßnahmen, u. a. auf der Grundlage des Vorwurfs, sie habe kommunistische Uniformen hergestellt. Daniel Katz und Levis Sohn Arthur wurden zeitweise festgenommen. Die SS verbot Familienmitgliedern auch das Betreten des Unternehmens. So die Angaben von Familienangehörigen in Entschädigungsverfahren der Nachkriegszeit. Im Juni 1936, als
Levi und Daniel bereits nicht mehr lebten, sahen sich die Aktionäre gezwungen, die Aktiengesellschaft in die offene Handelsgesellschaft Katz & Co umzuwandeln. Die Gesellschafter waren nun Abraham Katz, die Witwe Anna Katz und Levis Witwe Johanna Katz sowie deren Sohn Arthur. Bereits vor dieser Umwandlung des Unternehmens hatte die Familie Teile von ihm an die erst kurz zuvor gegründete Firma Kleiderfabrik Liley & Co verkauft, deren Eigentümer ehemalige Angestellte der Aktiengesellschaft waren. In deren Besitz gingen Maschinen und Einrichtungsgegenstände im Wert von mehr als 12.000 RM über. Zudem hatte Liley & Co mehrere Räume der AG gemietet. Im gleichen Gebäudekomplex befanden sich nun zwei Kleiderfabriken. Die OHG Katz & Co war 1937/38 in Liquidation und hat wahrscheinlich in dieser Zeit noch weiteren Firmenbesitz an Liley & Co verkauft.  1938 wurde sie Ziel der Novemberpogrome, 1939 verkauften die Eigentümer das Grundstück an die Stadt Kassel zum Preis von 108.000 RM, wobei das Geld nicht den Eigentümern zufloss, sondern zu Begleichung eines Teils der Reichsfluchtsteuer und Judenvermögensabgabe verwendet wurde, die also wesentlich mehr als den Kaufpreis betrugen. Im Sommer 1939 setzte ein Gericht den Eigentümern von Katz & Co eine Frist zur Liquidation bzw. Löschung der Firma. Im gleichen Jahr meldete der Reichsanzeiger am 13. Juli: „Die Firma ist erloschen.“

Briefkopf der Kleiderfabrik Liley & Co.
Briefkopf der Kleiderfabrik Liley & Co.
Das Grab von Levi Katz auf dem alten jüdischen Friedhof in Kassel-Bettenhausen
Das Grab von Levi Katz auf dem alten jüdischen Friedhof in Kassel-Bettenhausen

 

Das Schicksal der Familie

 

Levi und Johanna Katz‘ Tochter Margarete heiratete im Dezember 1927 den Leipziger Kaufmann Armin Oppé, auch er wurde als Prokurist für die Aktiengesellschaft S. Katz Söhne tätig. Margarete war die einzige der Familie, die die NS-Herrschaft überleben sollte. Zuletzt in Leipzig gemeldet, gelang es ihr 1939, mit ihrem Mann in die USA auszuwandern.

 

Die „Jüdische Wochenzeitung für Kassel, Hessen und Waldeck“ würdigte Levi Katz anlässlich seines 70. Geburtstages am 30. Juli 1931 und hob insbesondere seine unternehmerische Leistung sowie seine Zuwendung zu jüdisch-kulturellen Problemen im Rahmen der Sinai-Loge hervor, deren Mitglied er genauso wie seine Brüder Abraham und Daniel war. Der Autor B. (vermutlich der Lehrer an der jüdischen Schule Walter Bacher) sprach die Hoffnung aus, „dass die jetzigen Wolken am deutschen Horizont bald wieder verschwinden und Herr Levi Katz noch recht viele Jahre in seiner körperlichen und geistigen Frische tätig sein möge.“  Diese Hoffnung sollte sich nicht erfüllen. Nur wenige Wochen nach dem Beginn der NS-Diktatur und damit der Entfesselung des Antisemitismus setzte Levi Katz seinem Leben ein Ende. Am 13. Mai 1933 wurde der „lebenslustige und gesellige“ Ehemann und Familienvater im Asch im Bergpark Wilhelmshöhe tot aufgefunden,  nachdem er zuletzt am Tage zuvor lebend gesehen worden war. Zu diesem Zeitpunkt lebte die Familie in der Querallee 36, dem Eckhaus zur Goethestraße.

 

Links: Luftbild (Worch) vermutlich aus dem Jahr 1935. In der Bildmitte mündet von links die Gießbergstraße ein, wo sich das Familienunternehmen befand (StadtA Kassel 0.002.184).

Rechts: Das Haus Lutherstraße 1 in unmittelbarer Nähe des Unternehmens  mit Nazi-Propaganda (ca. 1935, Fotograf Hildebrandt, StadtA Kassel 0.002.188).

Johanna und Arthur Katz waren nun Teilhaber des Unternehmens. Der ledige Sohn Arthur, der bei seinen Eltern lebte, war durch die Ausbildung auf dem Realgymnasium bis zur mittleren Reife und den Besuch der Webschule in Reutlingen auf die Übernahme einer leitenden Tätigkeit im Familienunternehmen vorbereitet worden. Nach dem Tod seines Onkels Daniel (1936) und dessen Ehefrau Anna (Suizid 1937 – siehe Biografie Anna Katz)  war er zusammen mit seinem Onkel Abraham allein zeichnungsberechtig für die OHG Katz & Co. Und nachdem sein Onkel im Januar 1939 nach Palästina ausgewandert war, oblag es ihm allein, die Interessen der Familien und des Unternehmens zu wahren bis zu deren Löschung im Handelsregister. Auf seiner Kennkarte für Juden vom Januar 1939 ist als Beruf Rentner eingetragen. Arthur Katz korrespondierte regelmäßig mit seinem Onkel Abraham in Palästina über geschäftliche wie auch private Angelegenheiten. Während Auszüge aus seinen Briefen zu Geschäftlichem in Entschädigungsakten zu finden, geben diese leider keine Auskunft zu seiner und die seiner Mutter Lebenssituation in Kassel.

Absperrung des Ghettos Riga (Bundesarchiv)
Absperrung des Ghettos Riga (Bundesarchiv)

 

Johanna und Arthur Katz waren nach Zwangsumzügen in die Annastraße (1934) und Jordanstraße (1936) im Februar 1939 in das “Judenhaus“ Kaiserstraße 73“ eingewiesen worden (siehe Biografie von Bertha Katz), danach in das „Judenhaus“  Kirchweg 72. Ihres Vermögens durch verschiedene staatliche Maßnahmen des
„legalisierten Raubs“ verlustig, wurden sie gezwungen, am 9. Dezember 1941 zusammen mit mehr als 1000 Menschen aus der Region den Zug nach Riga zu besteigen, dessen Ziel das dortige Ghetto war. Hier kamen beide ums Leben.

 

Die Verlegung von Stolpersteinen am 19. September 2019 wurde angeregt von Marianne Wintgen (Berlin). In Züschen erinnert am evangelischen Pfarrhaus im Obertor eine Gedenktafel "an die ehemaligen jüdischen Mitbürger, die Opfer des Holocaust wurden, darunter auch Levi Katz.

 

Quellen und Literatur zu den aus Züschen stammenden Familien Katz

 

Stadtarchiv Kassel

S 263 und S 264 (Sinai-Loge) | S3 265 (Überwachung von Handel und Gewerbe der Juden) | Sterbebücher | A 3.32 Kennkarten J | Adressbücher 1890ff. | Helmut Thiele, Die jüdischen Einwohner zu Kassel 1700 - 1942. Familiendaten und Adressen. Kassel 2006 | A 3.32 Hausstandsbücher

Stadtmuseum Kassel

Kataloge von S. Katz & Söhne (Inv.-Nr. 17/250, 1-2)

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden

Bestand 518 (Entschädigungsakten): 15546, 21469, 32349, 32350, 68874.

Bestand 519 (Devisenakten): 3 36469, 3 36486.

Hessisches Staatsarchiv Marburg

Best. 270 Kassel Nr. 4855, Best. 270 Kassel Nr. 6910.

 

Jüdische Wochenzeitung für Kassel, Hessen und Waldeck, 31.7.1931

Katz, Jakob (1874) - Züschen, Neuer Friedhof“, in: Jüdische Grabstätten <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/juf/id/3018> (Stand: 5.6.2012)

Paulgerhard Lohmann, Der antijüdische Rassenwahn Hitlers, Juden in Fritzlar und seinen Ortsteilen und ihre wenigen Freunde, Norderstedt 2014

Michael J. Tuteur, The Family of Daniel & Anna Katz, 2019 (zur Verfügung gestellt von Marianne Wintgen und Yehudit (Judith) Kirschbaum, der Enkelin von Anna Katz

 

Mitteilungen von Marianne Wintgen und Yehudit (Judith) Kirschbaum an den Verfasser.

Familienfotos zur Verfügung gestellt von Yehudit (Judith) Kirschbaum.

 

Wolfgang Matthäus

Juli 2019

 

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