Dr. Otto Heß

Ysenburgstraße 41, vor dem Haupteingang des Goethegymnasiums

 

Sehr geehrter Herr Dr. Heß, lieber Kollege ...

Ich freue mich, dass Sie ab heute wieder ein sichtbares Mitglied unserer Schulgemeinde sind.

 

hier können Sie die vollständige Rede von StD Bollmann anlässlich der Einweihung des Stolpersteins von Dr. Otto Heß lesen.

 

Otto Heß wohnte bis zu seinem Tod 1937 im Haus Kirchweg 72. Er wurde am 24. März 1882 als Sohn des Mühlenbesitzers Josef Heß in Rotenburg an der Fulda geboren, nahm als Soldat am Ersten Weltkrieg teil, studierte (wahrscheinlich in Frankfurt am Main) Mathematik, Physik und Chemie und wurde promoviert. Er zog den Lehrerberuf einer akademischen Laufbahn vor, die sich ihm offenbar eröffnete, und unterrichtete als Studienrat an der Oberrealschule II (heute Goethegymnasium). Damit gehörte er zu den nicht einmal zehn jüdischen Beamten in der Stadt vor 1933 und war neben Herta Wittmund die einzige jüdische Lehrkraft im Staatsdienst.

Seit 1911 war Otto Heß – wie sein Vater – Mitglied der Kasseler Sektion des Deutschen Alpenvereins und wurde noch in der Zeit des Nationalsozialismus für 25-jährige Mitgliedschaft ausgezeichnet. Innerhalb des erweiterten Vorstandes der Sektion war er jahrelang Mitglied des Hüttenausschusses und in dieser Eigenschaft eng mit der Kasseler Hütte in den Zillertaler Alpen verbunden. Als passioniertem Bergsteiger gelang ihm in deren Nähe die schwierige Ersteigung der „Kasseler Spitze“ über den Nordgrat. Deren Namensgebung soll auf ihn zurückgehen. In Hütten- und Tourenberichten taucht Otto Heß‘ Name ebenso auf wie in der Vortragstätigkeit des Vereins.

Er war „tief in den jüdischen Dingen verwurzelt, während er gleichzeitig das gesamte europäische Wissen seiner Zeit in sich aufgenommen hatte“, würdigte ihn das Jüdische Gemeindeblatt im März 1938. In der jüdischen Gemeinde war er neun Jahre im Provinzialvorsteheramt der Israeliten zu Kassel als Schriftführer tätig, zuletzt in der Nachfolge von Justizrat Dr. Rothfels ein Jahr lang als dessen Vorsitzender. In mehreren Einrichtungen und Gesellschaften der jüdischen Gemeinde betätigte er sich aktiv, mitunter als Vorsitzender.

Das von der Reichsregierung erlassene „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933, das Juden mit einem „Arierparagraphen“ vom Staatsdienst ausschloss, verschonte Otto Heß zunächst noch, weil es für Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges eine Ausnahme vorsah. Der bei Schülern allseits beliebte Lehrer („Onkel Otto“) konnte weiter unterrichten, wurde allerdings innerhalb des Kollegiums – wie ehemalige Schüler sich erinnerten – mehr und mehr gemieden und isoliert. 1933 erscheint sein Name noch auf der Hauptversammlung des Alpenvereins, danach nicht mehr. Über die Verleihung des „Edelweiß für 25jährige Mitgliedschaft“ an ihn im Jahr 1935 vermerkt das Protokoll, dass er am „Erscheinen verhindert“ gewesen sei.

Die „Nürnberger Gesetze“ vom September 1935 beendeten die Schonfrist für jüdische Frontkämpfer und damit auch die Berufstätigkeit von Otto Hess, der im gleichen Jahr noch an seiner Schule bei Abiturprüfungen tätig war. Er wurde aus dem Staatsdienst entlassen.

1937 machte der Bergsteiger Urlaub in Südtirol. Von einer Bergtour am 27. August kehrte er nicht mehr in sein Hotel zurück. Eine Vermisstenanzeige seines Bruders Ernst und Suchaktionen führten zu keinem Ergebnis. Erst im Juni 1938 entdeckten Bergsteiger die Leiche des 55-jährigen Studienrats. Das jüdische Gemeindeblatt würdigte den Toten in einem ausführlichen Nachruf.

 

Die Leiche wurde geborgen, aber nicht – wie ursprünglich vorgesehen – nach Kassel überführt. Anders als im jüdischen Gemeindeblatt wurde sein Tod an der Schule nicht offiziell erwähnt.

 

 

Schon bald kamen in Kassel Gerüchte auf, dass Otto Heß, der die Einsamkeit offenbar liebte, aus Verzweiflung über seine Entrechtung den Freitod gewählt habe. Plausibler erscheint wahrscheinlich die These eines Unfalls, auch wenn er ein versierter Bergsteiger war. Selbst intensive Recherchen von Andreas Skorka konnten dies nicht zweifelsfrei aufklären.

 

Otto Heß‘ Bruder Ernst und sein Vetter Eduard, die gemeinsam den Mühlenbetrieb der Familie geleitet hatten und diesen 1936 zwangsweise stilllegen mussten, wurden deportiert: Eduard Heß am 7.9.1942 nach Theresienstadt, wo er am 24.1.1943 starb, Ernst Heß an einen unbekannten Ort, an dem er mit großer Wahrscheinlicheit ermordet wurde.

Todesanzeige im Jüdischen Gemeindeblatt
Todesanzeige im Jüdischen Gemeindeblatt

 

Literatur und Quellen:

 

Dieser Text beruht im Wesentlichen auf: Andreas Skorka, Studienrat Dr. Otto Hess: Ein jüdischer Bergsteiger in unserer Sektion (pdf)

Jüdisches Gemeindeblatt für Kassel, Hessen und Waldeck

Namen und Schicksale der Juden Kassels. Ein Gedenkbuch, Kassel 1986

 

 

 

Wolfgang Matthäus, August 2017

 

 

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