Karl, Selma und Rolf Hase

Wolfhager Str. 147

Karl Hase (StadtA Kassel)
Karl Hase (StadtA Kassel)

Karl Hase ist am 21. Februar 1907 in Kassel-Rothenditmold geboren. Seine Eltern waren der Gärtner Kuno Hase und Deborah Oesterreicher. 1913 ist er in die Bürgerschule 23 für Knaben in der Wolfhager Straße eingeschult worden. Er hatte fünf Geschwister. Ihre Wohnung war Philippistraße 17 im Hinterhaus. Das Haus gehörte, wie weitere in der Nachbarschaft, der Jute-Spinnerei. Mutter Deborah ist 1919, da war Karl 12 Jahre alt, nach der Geburt seines Bruders Willi, gestorben. Nach dem Tod der Mutter ist der Junge in die Obhut von Geschwistern seiner Mutter gekommen, die ebenfalls in der Philippistraße zu Hause waren. Er hat eine Lehre als Maler und Lackierer gemacht. Vater Kuno Hase stirbt 1967. Er hat bis zuletzt in der Philippistraße gewohnt, in Häusern, die der Jute gehörten.

Karl heiratet im Dezember 1929 Erna Weiser, Jg. 1904. Das junge Paar wohnt im Hause Kirchweg 11. Dort kommt am 30.12.1930 der Sohn Siegfried zur Welt. Ehefrau und Mutter Erna stirbt im Januar 1933 im Alter von 28 Jahren.

Selma Hase (StadtA Kassel)
Selma Hase (StadtA Kassel)

Ein Jahr später heiraten Karl Hase und Selma Jakob am 11. April 1934 und ziehen gemeinsam mit Sohn Siegfried nach Rothenditmold in die Wolfhager Str. 147. Selma ist am 5.3.1901 in Osche, einem Dorf im damaligen Westpreußen geboren. 1919 ist sie nach Kassel gekommen und hat Unterkunft und Ausbildung im Haus des Israelitischen Schwesternbundes in der Jordanstraße 51 gefunden. Dieser Bund widmete sich der Ausbildung junger Mädchen im eigenen Heim. Selma Jakob hat bis zur Eheschließung in verschiedenen Haushalten gearbeitet und gelebt.

Die gemeinsame Wohnung im Hause Wolfhager Straße 147 war eine Werkswohnung von Henschel & Sohn. Bei diesem Unternehmen war Karl Hase von 1933 bis 1938 als Lackierer beschäftigt. Sein monatlicher Bruttolohn betrug 190 RM. Von 1938 bis 1942 war er bei der Malerfirma Seebach in der Wilhelmshöher Allee 34 mit einem Wochenlohn 60 RM als Maler angestellt.

Am 10.3.1937 wird ihr gemeinsamer Sohn Rolf geboren. Familie Hase – bestehend aus Karl und Selma und den Kindern Siegfried und Rolf – ist dann am 11. Dezember 1939 aus der Henschel-Werkswohnung in die „Judenbaracken“ in der Zentgrafenstraße in Kirchditmold zwangsweise eingewiesen worden. Die Verdrängung der Juden aus ihren Wohnungen war ein Schritt zur Absonderung. Die Barackensiedlung in Kirchditmold, Zentgrafenstraße 5 – 17, die vor 1933 für Obdachlose errichtet worden war, glich einer lagerähnlichen Unterkunft. Jeder Familie stand ein 10 – 12 qm großer stallähnlicher Raum zur Verfügung. Die Baracken sind in 1943 – 1945 durch Bombardierung zerstört worden. Auf ihren Fundamenten stehen heute Einfamilienhäuser.

 

Die 1935 in Kraft getretenen Nürnberger Gesetze schufen die formal rechtliche Grundlage für die antisemitische und rassistische Ausgrenzung der Juden, hier speziell das Blutschutz- und das Reichsbürgergesetz. Das Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der Ehre verbot die Eheschließung und den außerehelichen Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Nichtjuden. Mit Verordnungen zum Reichsbürgergesetz wurde definiert, wer als Reichsbürger galt oder als Jude bzw. jüdischer Mischling eingestuft wurde.

· Personen mit mindestens 3 jüdischen Großeltern galten als Jude,

· Personen mit einem jüdischen Elternteil oder zwei jüdische Großeltern als „Mischling 1. Grades“,

· Personen mit einem jüdischen Großelternteil als „Mischling 2. Grades“.

Diese Einteilung bedeutete für die Hases:

· Karl Hase galt als „jüdischer Mischling 1. Grades“, weil sein Vater Kuno kein Jude war, Mutter Deborah aber Jüdin.

· Sohn Siegfried war „jüdischer Mischling 2. Grades“. Vater „JMI 1. Grades“, Mutter Erna keine Jüdin.

· Sohn Rolf hatte 3 jüdische Großeltern und galt als Jude.

· Karl Hase hat durch die Ehe mit der Jüdin Selma seinen Status als Mischling 1. Grades verloren.

 

Am 20.5.42 informierte die Gestapo Kassel die Landräte und Polizeidienststellen, dass "im Zuge einer bereits laufenden Evakuierungsaktion ... in nächster Zeit auch aus dem Regierungsbezirk Kassel ca. 840 Juden nach dem Osten abgeschoben" werden [HStA Marburg, 180 Fritzlar 2737]. Durch die geplante Zusammenlegung mit einem Teiltransport aus Halle sollte die durch das Reichsicherheitshauptamt (RSHA) vorgegebene Zahl von 1000 Deportierten erreicht werden. Ein weiteres Schreiben vom 22.5. legte dann fest, dass "nach den gegebenen Richtlinien ... für die bevorstehende Aktion nicht 844, sondern nur 522 Juden aus dem Regierungsbezirk Kassel in Frage" kommen. Dazu heißt es: "Diese Juden werden am 1.6.1942 von Kassel nach dem Osten abgeschoben." Im gleichen Schreiben wird die Heranführung der Betroffenen mit der Bahn aus den verschiedenen Regionen am 30.5. und 31.5. detailliert geplant.

Am 1. Juni 1942 sind Rolf Hase, Selma Hase und Karl Hase vom Hauptbahnhof Kassel, Gleis 1 zur Vernichtung nach Sobibor geschickt worden. Rolf war erst 5 Jahre alt. Er hat weder einen Kindergarten besucht noch beim Spielverein Rothenditmold 1906 kicken dürfen. Seine Eltern waren 41 und 35 Jahre.

Siegfried Hase, damals 12 Jahre, blieb dieses Schicksal erspart. Er ist von seiner Tante Erna in Obhut genommen worden, hat nach der Befreiung in Kassel gelebt und ist später in die USA ausgewandert. Von dort hat er mit anwaltlicher Hilfe Entschädigung als Erbe seines Vaters Karl erstritten.

Gedenkallee in Sobibor
Gedenkallee in Sobibor

 

 

Quellen

 

Stadtarchiv Kassel

Meldeakten | Adressbücher Kassel

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden

Entschädigungsakten Hase, Bestand HHStAW 518, 7494, 7495, 14680

Staatsarchiv Marburg

Personenstandsurkunden Standesamt Kassel I

Gedenkbuch des Bundesarchivs

Stadtverwaltung Eisenach, Amt für Bildung

Geburtsnachweis Kuno Hase

Statistik des Holocaust zur Deportation nach Sobibor

 

 

Jochen Boczkowski, März 2021

 

 

 

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