Rudolf Freidhof

Naumburger Straße 17a

Der sozialdemokratische Bezirkssekretär Rudolf Freidhof hatte 1931 in seiner im Selbstverlag herausgegebenen Broschüre „Die faschistische Gegenrevolution“ eindringlich vor der nationalsozialistischen Bewegung gewarnt und zum Kampf gegen sie aufgerufen: „Der Gewalt muss die Arbeiterklasse Gewalt entgegensetzen. Faschismus bedeutet Bürgerkrieg, Vernichtung der Kultur und Untergang des Volks. Sozialismus bedeutet Friede, Freiheit und kultureller Aufstieg für alle Menschen.“ Als konsequenter Gegner der Nationalsozialisten wurde er bereits kurz nach deren Machtübernahme verfolgt.

1906 trat er der dortigen SPD bei, die wie die badische Sozialdemokratie insgesamt einen reformistischen Kurs verfolgte. Im Gefolge der Revolution radikalisierte sich Freidhof und trat für die USPD ein, für die er 1921 in den badischen Landtag gewählt wurde, dem er bis 1928 angehörte. Bei der Auflösung der USPD 1922 trat er nicht wie die meisten USPD-Mitglieder der KPD bei, sondern warb für den erneuten Zusammenschluss der beiden sozialdemokratischen Parteien. 1923 übernahm er die Position des Vorsitzenden der Mannheimer SPD, aus der heraus er erhebliche Anstrengungen unternahm, die Partei vor Ort zu konsolidieren. Neben dem parteipolitischen stand sein kommunalpolitisches Engagement – insbesondere auf sozialpolitischem Gebiet. 1925-1928 gehörte er dem Mannheimer Bürgerausschuss an, dem Stadtparlament.

Rudolf Freidhof - seine Frau Lina mit der Tochter Else - Reichsparteitag der SPD 1925 in Heidelberg

Offenkundig führten die Verdienste, die er sich in Mannheim erworben hatte, dazu, dass ihn die Reichsleitung der SPD 1928 als Bezirkssekretär der Partei nach Kassel berief, nachdem es dort zu internen Auseinandersetzungen gekommen war. Die Kasseler Partei beschreibt Freidhof in seinen Lebenserinnerungen so: „Die Mitgliederzahl betrug 1928 4.307. Außerdem hatten wir in stärkeren Gruppen die Arbeiterjugend, die Jusos und die Kinderfreunde. Auch die Frauenabteilung war außerordentlich aktiv. Gute Beziehungen hatte die Partei zum ‚Reichsbanner‘ und zur ‚Eisernen Front‘ und zu den Gewerkschaften. Außerdem hatten wir Betriebsgruppen in den größeren Betrieben, vor allem bei Henschel, Fröhlich & Wolf (Textil) und bei den Eisenbahnern. In der ‚Eisernen Front‘, die als Abwehr gegen die immer stärker werdende Nazi-Bewegung gebildet wurde, waren alle demokratischen Parteien, die Gewerkschaften, Naturfreunde, Arbeitersportler und ähnliche Organisationen vertreten. Das ‚Reichsbanner‘, geführt von dem Lehrer Karl-August Quer, war eine militante Organisation, die den Schutz demokratischer Organisationen mit Störungen der Nazis und Kommunisten übernommen hatte.“ Von den Kommunisten grenzte er sich scharf ab.

 

Im Kampf gegen die Nazis publizierte Freidhof, setzte Flugblätter ein und trat als Redner bei Großveranstaltungen auf. Über die letzte Wahlkampfveranstaltung zur Reichstagswahl am 31. Juli 1932 unter der Parole „Eiserne Front gegen Hitler-Barone“ heißt es in seinen Erinnerungen: „Die letzte große Massenveranstaltung fand in Kassel auf der Leisterschen Wiese statt, an der etwa nach polizeilicher Schätzung 15.000 Menschen teilgenommen haben. Ich sprach dort gemeinsam mit dem sozialdemokratischen Oberpräsidenten Haas über die Gefahren und die Morddrohungen der Nazis und forderte zum Widerstand auf.“

Parteischulung 1930 (Freidhof in der ersten Reihe, Dritter von rechts) - Titel seiner Broschüre aus dem Jahr 1931

Aussweis für politisch Verfolgte aus der Nachkriegszeit
Aussweis für politisch Verfolgte aus der Nachkriegszeit

Für Freidhof war, wie er in seinen Erinnerungen 1976 mit Kritik an der SPD und den Gewerkschaften schreibt, bereits mit dem Staatsstreich in Preußen im Juli 1932 gegen die SPD geführte Regierung das Ende der deutschen Demokratie besiegelt gewesen: „Nachdem die preußische Regierung Braun und Severing widerstandslos ihren Platz geräumt hatten, und die preußische Polizei in die Hände der Nazis übergegangen war, und die Gewerkschaften nicht mehr bereit waren den Widerstand aktiv zu führen, war jede Aussicht auf die Erhaltung der Demokratie leider verloren.“ Ende Februar 1933 zog er daraus die vorsorgliche Konsequenz: „Als ich gesehen habe, was kommt, habe ich sämtliche Akten verbrannt. Alle Mitgliederlisten. Alles.“

Freidhof bezeichnete in einem Gespräch 1962 seine Verhaftung am 3. März 1933 als „eigentlich ein Glück, und zwar deshalb ein Glück, weil ich dadurch der SA usw. entgangen bin. Ich bin ja eine lange Zeit im Untersuchungsgefängnis in der Leipziger Straße gewesen, und als mich eines schönen Tages die SA abholen wollte, um mich in die Bürgersäle [eine Folterstätte der SA, W. M.] zu bringen, hat der dortige Polizeikommissar, der das Untersuchungsgefängnis leitete, es abgelehnt, mich rauszugeben.“ Freidhof, der vom späteren Ministerpräsidenten Georg-August Zinn als Anwalt vertreten wurde, sollte wegen Hochverrats vor dem Reichsgericht in Leipzig angeklagt werden, das diese Anklage aber zurückwies. Zu diesem Zeitpunkt war es noch nicht „gleichgeschaltet“. Über Freidhof wurde am 19. April Schutzhaft verfügt, die er im Polizeigefängnis verbrachte. Im Zusammenhang mit der Verteilung eines Flugblattes wurde er wegen Vergehens gegen das Pressegesetz angeklagt und von der Strafkammer beim Landgericht Kassel am 3. Mai 1933 zu einer viermonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. Unmittelbar im Anschluss daran führte die erneute Verhängung von Schutzhaft zu seiner Einweisung in das Konzentrationslager Breitenau, wo er etwa einen Monat verblieb, ehe er von Juli 1933 bis Mitte Oktober seine Haft in Wehlheiden verbüßte.

Im Gegensatz zu so vielen in seiner Partei, war Freidhof bewusst gewesen, dass der NS-Terror sich auch auf die Sozialdemokratie erstrecken würde. Nachdem dieser eingesetzt hatte, waren die Partei und die Organisationen des sozialdemokratischen Lagers nicht zu gewaltsamer Gegenwehr und kollektivem Widerstand bereit. Rudolf Freidhof hielt das für sinnlos. „Für mich war von Anfang an klar, dass die Nazidiktatur viele Jahre andauern wird und zum Krieg führen müsse, und ein Widerstand gegen eine so brutale und schwerbewaffnete Diktatur kein Erfolg haben könne. Ich war immer der Meinung, dass dieser Diktatur nur eine bewaffnete Macht erfolgreich Widerstand leisten kann. Auch diese ist letzten Endes erfolglos geblieben, wie die Geschichte beweist. Für mich war die Hauptsache, und darauf war unsere ganze Einstellung berechnet, das 3. Reich zu überleben, um am Neuaufbau einer demokratischen, sozialistischen Partei in einem demokratischen Staat mitzuarbeiten.“

Bis auf wenige Ausnahmen gab es seitens der Kasseler Sozialdemokraten keinen nennenswerten aktiven und auf Öffentlichkeit zielenden Widerstand, wie Jörg Kammler feststellt, der die dominierende Haltung der „gesinnungstreuen Sozialdemokraten“ den „Rückzug auf die Zirkel der Solidargemeinschaft“ nennt. Freidhof erinnerte sich: „Soweit es um den aktiven Widerstand im 3. Reich ging, habe ich mit einer Anzahl von treuen Genossen, besonders Eisenbahnern, ständige Verbindungen gehabt. Ich habe immer davor gewarnt etwa schriftliches, Flugblätter oder Adressenmaterial, bei sich zu haben. (…) Für mich war die Hauptsache, und darauf war unsere ganze Einstellung berechnet, das 3. Reich zu überleben, um am Neuaufbau einer demokratischen, sozialistischen Partei in einem demokratischen Staat mitzuarbeiten.“

Freidhof erwarb in der Naumburger Straße 17 einen Lebensmittelladen, mit dem er der Familie den Lebensunterhalt sicherte, die später in die Naumburger Straße 17a zog. Andere Sozialdemokraten traf er unter anderem in Lorchen Hennings Weinstube, wo man sich zum Beispiel über die Nachrichten von Auslandssendern austauschte und zum Schein Karten spielte. Zeitweise verteilte er aus dem Saargebiet kommende Exemplare des Neuen Vorwärts und riet dazu, sie unmittelbar nach der Lektüre zu vernichten. Bei allen Kontakten stand immer auch die Frage der Vertrauenswürdigkeit im Raum. „Von einer organisierten Widerstandsgruppe kann man nicht sprechen“, meinte er in der Erinnerung. Die ehemaligen führenden Sozialdemokraten wurden gleichwohl „jedoch von der Gestapo mit besonderem Argwohn beobachtet, schreibt Kammler und zitiert dazu den Lagebericht der Staatspolizeistelle Kassel vom 4. Mai 1934: „Die Funktionäre der SPD und der Gewerkschaften suchen sich in der freien Wirtschaft zu betätigen. Einige führende Parteisekretäre haben offene Ladengeschäfte (Lebensmittel, Zigarren) übernommen. Ihr Tun und Treiben wird überwacht.“

Blick in die Naumburger Straße 1930er Jahre. Im Vordergrund rechts wahrscheinlich Rudolf Freidhof. Im zweiten Haus war seine Wohnung, im anschließenden Haus das Geschäft. - Ladeninneres - Seitenflügel (besser Hinterhaus) der Naumburger Straße 17a. Auf dem Foto ist vermutlich sein Schwiegersohn mit der Enkelin.

Am 24. August 1944 wurde Freidhof erneut verhaftet und in Schutzhaft genommen. Er war einer von etwa 5.000 ehemaligen Mandatsträgern Weimarer Parteien, die im Rahmen der lang vorbereiteten „Aktion Gewitter“ in Konzentrationslager verbracht wurden - darunter auch einige aus Kassel. Das NS-Regime wollte so die auf einer Liste stehenden möglichen Organisatoren eines Aufstandes bei Kriegsende ausschalten. Freidhof wurde im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Vom 26.7. bis 17.10.1944 blieb er dort in Haft.

Rudolf Freidhof im Alter (StadtA Kassel E 13.2. Nr.22)
Rudolf Freidhof im Alter (StadtA Kassel E 13.2. Nr.22)

Unmittelbar nach Kriegsende war Rudolf Freidhof maßgeblich am Wiederaufbau der Kasseler SPD beteiligt und vertrat diese auch bei der ersten Parteikonferenz der SPD im Oktober 1945 in Wennigsen bei Hannover. Er bekleidete in der Nachkriegszeit neben Parteiämtern zahlreiche öffentliche Ämter. Von 1946 bis 1964 war er Stadtverordneter in seiner Heimatstadt, seit 1956 als Stadtverordnetenvorsteher. Er gehörte 1946 der verfassungberatenden Landesversammlung von Groß-Hessen und von 1946 bis 1949 dem Hessischen Landtag an (zweitweise als Fraktionsvorsitzender der SPD). Von 1949 bis 1957 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Das Land Hessen würdigte ihn mit der Freiherr-vom-Stein-Plakette (1963) und der Wilhelm-Leuschner-Medaille (1968). 1964 wurde er Ehrenbürger der Stadt. Rudolf Freidhof starb am 25.12.1983 in Kassel. Sein Grab auf dem Friedhof in Harleshausen ist ein Ehrengrab der Stadt.

 

Wolfgang Matthäus, Juni 2023

Quellen und Literatur

 

StadtA Kassel

A 3.32 Nr. 490 und 491 | E 13.2. Nr. 22 | E 2, Nr. 143 | S 1 Nr. 1119

HStAM

M 177 1258 und 1259 (Sammlung zum Schutzhaftgefangenen Rudolf Freidhof)

HHStAW

518 62.505 (Entschädigungsakte)

Stadtmuseum Kassel

11_0023 | 11_0307_01 (von Freidhof verantwortete Flugblätter)

Adressbücher Kassel

Nachlass Freidhof (Privat)

 

Freidhof, Rudolf Linus, in: Hessische Biografie <https://www.lagis-hessen.de/pnd/1029771189> (Stand: 5.1.2023)

Freidhof, Rudolf: Die faschistische Gegenrevolution, Kassel 1931 (im Selbstverlag)

Frenz, Wilhelm / Schmidt, Heidrun: Wir schreiten Seit an Seit. Geschichte der Sozialdemokratie in Nordhessen, Marburg 1989

Frenz, Wilhelm / Kammler, Jörg / Krause, Vilmar, Dietfrid, Volksgemeinschaft und Volksfeinde, Band 2: Studien, Fuldabrück 1987

Kammler, Jörg: Widerstand und Verfolgung – illegale Arbeiterbewegung, sozialistische Solidargemeinschaft und das Verhältnis der Arbeiterschaft zum NS-Regime, in: Volksgemeinschaft und Volksfeinde, S. 325ff.

ders.: Zur historischen Ausgangslage des Arbeiterwiderstandes: Die Kasseler Arbeiterbewegung vor 1933, in: Volksgemeinschaft und Volksfeinde, S. 291ff.

Kitzing, Michael: Rudolf Freidhof (1888–1983) – ein Leben im Dienst der sozialen Demokratie, in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte 116 (2011), S. 225–246

Krause-Vilmar, Dietfrid: Das Konzentrationslager Breitenau, Marburg 1998

 

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