Siegfried und Else Hattenbach

und deren Kinder Adolf, Hans Theodor und Edith

Annastraße 11

Die Eheleute Hattenbach sind 1908 als frisch verheiratets Paar nach Kassel gekommen. Ihre erste gemeinsame Wohnadresse war Königstor 23. Siegfried ist 1879 in Hoof Kreis Kassel geboren. Seine Eltern waren Nathan und Blueme Hattenbach. Er hatte 7 Geschwister, die alle in Hoof geboren und aufgewachsen sind. In Hoof und im Nachbarort Breitenbach existierte vor 100 Jahren die größte jüdische Gemeinde im Kreis Kassel. Es gab eine Synagoge, Schule, Mikwe und Friedhof.

 

Ehefrau Else stammte aus Gronau an der Leine, Kreis Hildesheim. Else ist am 23. Juli 1888 geboren. Ihre Eltern waren der Kaufmann Adolf und Emma Dannenberg, geb. Wolf. Adolf entstammte einer dort lange ansässigen jüdischen Familie. Er betrieb ein gut gehendes Manufakturwarengeschäft und gehörte zu den wohlhabendsten Geschäftsleuten am Ort. Mutter Emma Wolf stammte aus Nesselröden (Krs. Werra-Meißner). Else hatte 2 Brüder (Robert und Gustav), außerdem 2 Halbbrüder aus erster Ehe ihres Vaters (Max, und Harry). Weder ihre Eltern noch Geschwister sind Opfer der rassistischen Verfolgung geworden. Siegfried und Else haben in Gronau am 23. August 1909 geheiratet.

 

Siegfried Hattenbach war als Grundstücks- und Hypothekenmakler tätig. Er unterhielt zeitweilig ein Geschäftslokal bis 1925 in der damaligen Hohenzollernstraße. Gewohnt hat die Familie nacheinander in der Jordanstraße und ab 1927 in der Annastraße 11. Das 3-geschossige Haus befand sich im Eigentum der Hattenbachs. Die Hattenbachs bewohnten das Erdgeschoß, im 1.Stock war Sophie Pappenheim (konnte noch im März 1941 nach Argentinien emigrieren) und im 2. Stock Supernumerar Fischer. Gegenüber wohnte der jüdische Stadtteilgründer des Vorderen Westens Sigmund Aschrott.

Annastraße 11 (aus: Dannenbergs Chronik von Alfredo Dannenberg, Privatdruck 1993) - Luftbild Bereich Annastraße-Parkstraße (Foto Worch, Stadtmuseum Kassel)

Die Hattenbachs hatten 3 Kinder, ein viertes Kind ist früh verstorben.

 

Sohn Adolf ist 1912 geboren. Nach der Volksschule wechselte er zum Wilhelmsgymnasium Kassel, Abitur 1930. 6 Semester Jurastudium in Heidelberg, Marburg, Berlin und Göttingen vom August 1930 bis April 1933.

 

Am 7. September 1918 ist Sohn Hans Theodor geboren. Damals wohnten seine Eltern in der Jordanstraße. Von Ostern 1929 bis Mai 1933 war er auf dem Wilhelmsgymnasium, zuletzt in der Obertertia, da war er 15 Jahre. Im Entschädigungsverfahren schreibt Hans Theodor „Im April erhielten meine Eltern eine Vorladung vom damaligen Schuldiretor Paeckelmann. Meine Mutter leistete dieser Vorladung Folge und es wurde ihr mitgeteilt, daß es im Interesse der Schulordnung besser besser wäre, wenn ich die Schule verlassen würde. Mein Vater war kein Frontsoldat des ersten Weltkrieges und meine Eltern beschlossen dieser Aufforderung Folge zu leisten.“ Im Abgangszeugnis bestätigt Direktor Paeckelmann: Der Schüler verlässt die Anstalt um eine Gartenbau-Lehranstalt in Hannover zu besuchen.

 

Tochter Edith Hattenbach ist am 11. Mai 1921 geboren. Nach der Volksschule wechselte sie zum Oberlyzeum, dem Vorläufer der Jacob-Grimm-Schule, das 1931 seinen Sitz am Ständeplatz 1, Ecke Theaterstraße hatte. Ihr Schulweg von der Annastraße bis zum Ständeplatz war ein Kilometer. Seinerzeit erteilte Dr. Lazarus israelitischen Religionslunterricht, Katholischer Religionslehrer war Geistl. Rektor Heim.

 

Am 30. Januar 1933 ernennt Hindenburg Hitler zum Reichskanzler und damit war die Wende zur Errichtung des faschistischen Terrorregimes eingeleitet, an dessen Ende der Weltkrieg mit 50 Millionen Toten, darunter 6 Millionen europäischer Juden standen. Am Anfang standen vor allem die politischen Gegner im Visier, Antisemitismus und Antikommunismus waren gewissermaßen Zwillinge. Ob solche Überlegungen bei Hattenbachs eine Rolle spielten? Auf jeden Fall müssen sie die Gefahren erahnt haben, denn am 26.Oktober 1933 meldet sich die ganze Familie nach Amsterdam ab. In den seit der Machtübertragung vergangenen Monaten haben sie vermutlich ihre Emigration vorbereitet. Hausverkauf in die Wege geleitet und neues Domizil in Holland sondiert. Hals über Kopf sind sie nicht davon gelaufen. Es gibt allerdings keine exakte Schilderung wie der Umzug und der Aufbau einer neuen Existenz in Amsterdam von statten ging.

In „Joods Monument“, einer niederländischen Datenbank über etwa 100 000 von der Besatzungsmacht deportierte und ermordete Juden, davon viele Flüchtlinge aus Deutschland, kann man lesen, dass Hattenbachs 1940 (im Jahr des Überfalls der Naziwehrmacht) ein Boardinghaus betrieben, Adresse: Amsterdam, Euterpestraat 35. Später mussten sie umziehen in ein Viertel das überwiegend von Juden bewohnt war, Afrikansplein 13. Ab 1942 mussten auch die Juden in den Niederlanden den Stern tragen und es begannen erste Deportationen. Vorher wurden sie aus ihren angestammten Wohnungen in das Durchgangslager Westerbork verbracht. Spätestens jetzt dürfte ihnen bewusst geworden sein, dass das sicher geglaubte Exil verloren war.

Karteikarten des Amsterdamer Judenrats für Else und Siegfried sowie Edith Hattenbach (arolsen archives)

Else und Siegfried Hattenbach wurden am 24. Juli 1943 in dieses Lager eingewiesen und einen Monat später mit einem Transport von 1004 Menschen ins Vernichtungslager Auschwitz geschickt. Der Ankunftstag 2. September war für die meisten auch Todestag.

Reisedokument für Edith Maartens geb. Hattenbach
Reisedokument für Edith Maartens geb. Hattenbach

Ihre Tochter Edith war, als sie im Oktober 1933 mit ihren Eltern nach Amsterdam kam, 12 Jahre alt, noch Schülerin. Sie dürfte auch im Exil weiter zur Schule gegangen sein. Bis zur Internierung der Eltern hat sie 10 Jahre bei ihnen gewohnt. Das geht aus den Karteikarten des Amsterdamer Judenrates hervor. Auf ihrer Karte ist vermerkt, dass sie früher in einem Anwaltsbüro tätig war, 4 Klassen Gymnasium absolviert hat, ein Diplom in Stenografie habe, auch in Deutsch. Auch wird ihr Beharrlichkeit attestiert. Aus der Karte geht weiter hervor, dass sie Sekretärin des Judenrates und eines Informationsbüros war. Der Judenrat Amsterdam war eine Einrichtung der deutschen Besatzer zwischen Februar 1941 und September 1943. Währen der Emigration hat sie im Jahre 1943 geheiratet. Ihr Ehemann war Marc Eugene Maartens, ursprünglich Max Mannheimer, geboren 6. Oktober 1918 in Berlin. Wie es zur Namensänderung kam, bleibt ungeklärt.

Ediths weitere Verfolgungsgeschichte stellt sich wie folgt dar. Juli 1943 Internierung in Westerbork, September 1943 Entlassung. Dezember erneute Verhaftung und Deportation Februar 1944 nach Theresienstadt. Mai 1945 Befreiung. Nach der Befreiung Repatrierung nach Amsterdam. 1946 Auswanderung über London – Buenos Aires nach NewYork. 14.11.1958 gestorben in Detroit.

 

Die Brüder Adolf und Hans Theodor sind zwar mit den Eltern 1933 aus Deutschland emigriert. Sie haben aber die Niederlande nur als Trittstein für die weitere Ausreise benutzt. Adolf ist 1933 unmittelbar weiter nach Südafrika ausgewandert. Er hat sein Jurastudium nach Überwindung von Hemnissen fortsetzen können und 1941 das Examen für die Zulassung als Anwalt bestanden. Er war verheiratet und ist 1964 in Johannesburg gestorben. Hans Theodor ist zeitlich getrennt von seinem Bruder ebenfalls nach Südafrika gegangen. Er konnte seine Absicht Gärtner zu werden, nicht realisieren, da diese Arbeit in der Regel von Schwarzen gegen geringen Lohn verrichtet wurde. Er wurde daher Anstreicher-Lehrling. So formulierte er es in 1958 unter Apartheidbedingungen in seinem Entschädigungsverfahren. Er machte sich später mit einem Maler- und Anstreichergeschäft selbständig. Er war verheiratet. 1967 ist er in Johannesburg verstorben. In Südafrika lebten 2 Geschwister ihres Vaters, die den Emigranten seinerzeit bei den ersten Schritten im Exil unter die Arme griffen.

 

Über die eingangs erwähnten 7 Geschwister Siegfried Hattenbachs aus Hoof konnte folgendes ermittelt werden: Schwester Emma Emigration USA. Schwester Johanna hat Theresienstadt überlebt. Bruder Joseph ist zusammen mit Ehefrau ermordet worden. Bruder Louis Emigration Südafrika. Schwester Friederike 1935 gestorben. Schwester Bertha deportiert und ermordet. Schwester Selma Emigration Südafrika

 

Die Stolpersteine für Familie Hattenbach sind von Marion Hattenbach-Bernstein aus San Antonio, Texas angestoßen worden. Marion und Siegfried sind Verwandte 9. Grades in der Nebenlinie. Den Kontakt hat Monika Felsing aus Bremen vermittelt. Eine Spende der Zahnarztfamilie Wurbs finanzierte die Stolpersteine.

 

 

Jochen Boczkowski im Mai 2023

 

Quellen:

 

Kleinert und Prinz: Namen und Schicksale der Juden Kassels 1933-1945 – HG Stadt Kassel – 1986 Bundesarchiv: Gedenkbuch Opfer der der Verfolgung der Juden Stadtarchiv Kassel: Meldeakten und Adressbücher Kassel Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: Entschädigungsakten Hattenbach – HHStAW 518/ 67411, /14690, /14691,

/14693, /14686.

ITS – arolsen-archives

https://jinh.lima-city.de/gene/Hattenbach/The_Hattenbach.htm

https://www.geni.com/people/Edith-Maartens/6000000027005125550

 

Die Ziele des Vereins

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29.06.2024 Verlegung von Stolpersteinen mit Gunter Demnig