Hertha, Marion, Ralf Michael und Wilhelm Lieberg

Lessingstraße 18

Die Liebergs und der Messsinghof

Werbung der Metallwerke Lieberg & Co (Stadtmuseum Kassel)
Werbung der Metallwerke Lieberg & Co (Stadtmuseum Kassel)

Die Geschichte der Familie Lieberg ist untrennbar mit dem Messinghof in Bettenhausen verbunden. Die Familie Lieberg stammte aus der Wolfhagener Gegend. Aus der Kleinstadt war Wilhelm Liebergs Großvater Wolf 1868 nach Kassel gekommen, wo er ein Jahr später den Messinghof erwarb – einen 1679 von Landgraf Carl errichteten, schlossähnlich gestalteten protoindustriellen Monopolbetrieb. In diesem wurde Kupfer und Messing verarbeitet, unter anderem das Wahrzeichen Kassels, die Statue des Herkules gefertigt. Der preußische Staat privatisierte nach der Annexion Kurhessens 1866 die Mühlen an der Losse und damit auch den Messinghof.

 

Von den 11 Kindern Wolf Liebergs und seiner Frau Betty geb. Hess übernahmen die Söhne Carl und Moritz das Unternehmen Lieberg & Co. Nach Moritz' Tod 1927 wurde sein Sohn Wilhelm Geschäftsführer des Betriebes, der Metalle aller Art verarbeitete und unter anderem auch als Zulieferer für die Fahrradindustrie tätig war. Von 1922 bis 1935 waren auf dem Messinghof etwa 140 Menschen beschäftigt, die vor allem das Markenzeichen der „Metallwerke Lieberg & Co. G.m.b.H. Kassel-Bettenhausen“, den nahtlosen „Herkules-Kupferkessel“, produzierten. Ein Verwandter, der Schweizer Kurt Kaufmann, war inzwischen Teilhaber und Mitgeschäftsführer geworden.

 

Festwagen der Firma Lieberg 1927 (Archiv Heidi Sieker)                                            Moritz Lieberg (Archiv Heidi Sieker)

Der 1893 geborene Wilhelm Lieberg war seit 1922 mit der 1898 in Berlin geborenen Hertha geb. Hersch verheiratet und hatte mit ihr die 1924 geborene Tochter Marion sowie den 1927 geborenen Sohn Wolfgang, der zwei Jahre später starb. Im Mai 1933 kam ihr Sohn Ralf Michael zur Welt. Die wohlhabende Familie lebte zunächst in der Hohenzollernstraße 78, seit 1926 im eigenen Haus in der Lessingstraße 18. Sie pflegte einen "gutbürglichen Lebensstil".

 

Hertha Hersch 1920 auf Norderney                Das Hochzeitspaar 1922                                       Marion und Ralf Lieberg 1934

(alle Fotos von der Webseite des Fritz Bauer Instituts - siehe unter Quellen)

Wilhelm Lieberg bei einem Ausritt - Hertha und Marion Lieberg mit dem 1927 geborenen Wolfgang, der zwei Jahre später starb

(Fotos von der Webseite des Fritz Bauer Instituts - siehe unter Quellen)

Verfolgung

Seit dem Beginn ihrer Herrschaft hatten die Nationalsozialisten offenbar die Metallwerke Lieberg und ihre Eigentümer im Visier. Bereits 1933 kehrte der Teilhaber Kurt Kaufmann in die Schweiz zurück. „Seiner Rückkehr steht nichts im Wege“, schrieb der Regierungspräsident in Kassel an das Ministerium des Inneren, nachdem sich die Schweizer Gesandtschaft an das Außenministerium in der Sorge um das Wohl und die Sicherheit ihres Staatsangehörigen gewandt hatte. Hintergrund dieser Sorge war, dass ein Mann der Familie unter dem Vorwurf der Beziehung zu „deutschen Mädchen“ Opfer brutaler rassistischer Ausschreitungen geworden war. In einem Schreiben des Regierungspräsidenten hieß es: „Der jüdische Mitinhaber der Firma Lieberg & Co., Wilhelm Lieberg in Kassel wurde von der erregten Menschenmenge am 26. August durch die Straßen der Stadt geführt“. (…) „Um Lieberg vor dem Ausbruch der Volkswut zu schützen, musste Schutzhaft über ihn verhängt werden, die nach 2 Tagen – am 28.8. – wieder aufgehoben wurde.“

Ralf Lieberg 1935 und 1938 (Webseite des Fritz Bauer Instituts - siehe unter Quellen)

Haft und Enteignung

Wilhelm Lieberg 1939 - nach der Haft in Buchenwald
Wilhelm Lieberg 1939 - nach der Haft in Buchenwald

Wilhelm Lieberg wurde im Zuge des Novemberpogroms 1938 wie ca. 250 jüdische Männer aus der Region in Buchenwald inhaftiert. In seiner Haftzeit zwang man den inzwischen alleinhaftenden Gesellschafter der Metallwerke, Kurt Kaufmann, zum Verkauf des Unternehmens. Wilhelm Liebergs Schwestern und Mitgesellschafter Erna und Margarete waren bereits emigriert, die meisten Angehörigen der weitverzweigten Familie ins Ausland geflohen, weil man ihnen die Lebensgrundlagen in Deutschland entzogen hatte. Weit unter Wert erwarben zu gleichen Teilen der Schweizer Karl Imfeld und der Kasseler Dr. Fritz Hinz (Henschel) den Messingshof. Wilhelm Lieberg musste nach den Pogromen eine beträchtliche Judenvermögensabgabe von annähernd 50.000 Reichsmark bezahlen.

 

Allein seiner Tochter Marion sollte es gelingen, mit einem Kindertransport ins rettende Ausland zu fliehen.

 

Die Fotos unten zeigen die Geschwister vor der Flucht nach England und Ralf Lieberg mit einem Foto seiner Schwester im Jahr 1941.

Flucht und Emigration: Marion Lieberg

 

Marion Lieberg war es in Deutschland nicht mehr möglich, die übliche Schullaufbahn einzuschlagen und zu beenden oder eine Ausbildung zu absolvieren. Der tänzerisch begabten Tochter der Familie blieb eine entsprechende Ausbildung in Kassel verwehrt, sie begann eine solche dann in Berlin. Nach dem Schock der Novemberpogrome, besonders der Inhaftierung ihres Vaters im KZ Buchenwald, und der Enteignung der Familie gelang es ihr, die Tochter im Mai 1939 mit einem Kindertransport nach England zu bringen. Dort heiratete sie 1946 einen US-Bürger und ging später in die Vereinigten Staaten.

 

Marion Lieberg im Jahr 1939: noch in Kassel und bereits in England (Webseite des Fritz Bauer Instituts - siehe unter Quellen)

Deportation und Ermordung: Hertha, Ralf Michael und Wilhelm Lieberg

Der zurückgebliebenen Familie blieb nur das Foto von Marion. Es gelang ihr nicht mehr, gleichfalls ins Ausland zu fliehen. Im Krieg musste Wilhelm Lieberg als einfacher Arbeiter gegen geringes Entgelt Zwangsarbeit in seinem ehemals eigenen Betrieb leisten.

Hertha, Ralf und Wilhelm Lieberg gehörten zu den mehr als 500 Menschen aus der Region, darunter etwa 100 aus Kassel, die am 1. Juni 1942 mit dem Sonderzug „DA 57“ vom Hauptbahnhof in den Osten deportiert wurden. Der Zug erreichte zunächst Lublin, wo etwa 100 arbeitsfähige Männer zwischen 15 und 50 Jahren, darunter Wilhelm Lieberg, aus dem Zug geprügelt und ins Konzentrationslager Majdanek verschleppt wurden. Von ihnen sollte ein einziger überleben. Unter der Häftlingsnummer 10177 wurde Wilhelm Liebergs Tod am 8. September 1942 1942 in Majdanek registriert. Seine Frau Hertha und seinen Sohn Ralf hatte der Deportationszug am 3. Juni 1942 in das Vernichtungslager Sobibor verschleppt, wo sie bereits wenige Stunden nach dessen Ankunft wie alle Deportierten ermordet wurden.

 

 

Quellen und Literatur

 

StadtA Kassel: Einwohnermeldekartei | A 5.55.145 | Bestand INN 11819

Archiv Monica Kingreen (Frankfurt)

Archiv Ernst Klein (Volkmarsen)

Archiv Heidi Sieker (Kassel)

HStAM Best. 165 Bl. 482ff.

HHStAW Best: 518 Nr. 11491 (Entschädigungsakte W. Lieberg)

Wolfgang Matthäus, Kaiserstraße 13. Geschichten vom jüdischen Leben im Vorderen Westen, in Kassel und der Region, Kassel 2014

Klaus-Peter Wieddekind, Der Messinghof mit den Firmen Lieberg & Co. und Metallwerke Imfeld & Co.

 

Fotos

 

Alle Fotos stammen von der Webseite des Fritz Bauer Instituts zum Alltag jüdischen Lebens in Hessen vor dem Holocaust. Dort gibt es in den Menüpunkten "Orte" und "Alben der Familien" noch zahlreiche weitere Fotos der Familie.

 

Weiteres zur Familie Lieberg

 

Wolfgang Matthäus, Mai 2016

 

 


 

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