Katinka und Bruno Fröhlich

Terrasse 8 und 10 (früher 16)

Von 1867 bis 1938 und von 1948 bis 1992 existierte in Kassel und Hessisch Lichtenau ein weit über die Region bekanntes Unternehmen in der Branche Schwerweberei. Salomon Fröhlich und Simon Wollf – Juden, miteinander verschwägert - waren 1850 nach Kassel gekommen und hatten, wie es in der Firmenchronik heißt, „ihr Handwerk in dem Leinengeschäft von Sigmund Aschrott und die Grundlagen der aufkommenden modernen Textilfabrikation erlernt.“ Ihre Firma hatten sie in der Form einer Offenen Handelsgesellschaft gegründet, die als Segeltuch-, Leinen-, Drill- und Baumwollspinnerei betrieben wurde. Der Firmensitz war in Kassel, Wolfhager Straße 67/69. Ab 1907 wurde die Produktion weitgehend nach Hess. Lichtenau verlegt. Fröhlich & Wolff war etwa gleichrangig mit Salzmann u. Co, Baumann und Lederer, Gottschalk & Co und anderen.

Durch Erbfolge kam das Unternehmen auf der Fröhlich-Seite in die Hände der Brüder Otto und Bruno und auf der Wollf-Seite übernahm Dr. Richard Wollf den Anteil.

Bruno Fröhlich ist am 16. Oktober 1875 in Kassel geboren. Sein Sohn skizziert 1957 den Lebenslauf des Vaters: „Er hat in Kassel seine Schulausbildung erfahren und ein Kasseler Gymnasium besucht und dieses mindestens mit der mittleren Reife verlassen. Nach Beendigung der Schulzeit wurde mein Vater von meinem Großvater darauf vorbereitet, später einmal in die Firma Fröhlich & Wollf einzutreten. ….. Aufgrund des bestehenden Vertragsverhältnisses der OHG ergab sich jedoch später keine Möglichkeit für ihn.“ Er war dennoch als stiller Teilhaber mit 25 % am Gewinn beteiligt. Beruflicher Schwerpunkt war seit 1907 die tätige Teilhaberschaft an der Gummiwarenfabrik Fritz Heede in Hann. Münden, mit 50 %.
Katinka Weinberg, auch Käthe oder Katharina, stammt aus Essen und ist dort am 25.10.1886 geboren. Nach der Eheschließung wohnte das Paar in der Wilhelmshöher Allee 22. Dort sind 1910 Sohn Hans und 1915 Tochter Ursula geboren. 1925 ist die Familie in das Haus Terrasse 16 gezogen. Der * im Adressbuch bedeutet Eigentümer. Es war eine freistehende Villa mit großem Garten und Gartenhaus. Fröhlichs wohnten im 1. Stock. Das Haus ist 1943 zerbombt worden.

Sohn Hans hat am Realgymnasium I (heute Albert-Schweitzer-Schule) Abitur gemacht und anschließend in Freiburg, München und Göttingen Jura studiert. Tochter Ursula hat 1936 nach Italien geheiratet. Im Hausstandsbuch von Terrasse 16 ist vermerkt: durch Heirat katholisch geworden.

Terrasse 16 - Foto: Universitätsbibliothek Kassel - Landesibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel, Sign. 35 HF C557
Terrasse 16 - Foto: Universitätsbibliothek Kassel - Landesibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel, Sign. 35 HF C557

Nachdem die Nazis die Macht hatten, musste Bruno Fröhlich aus der Firma Fritz Heede in Hann. Münden ausscheiden. Bruno und Käthe fühlten sich aber zunächst nicht direkt bedroht.
Ganz anders ihre Kinder. Hans Fröhlich bekam nach Bestehen der 1. Staatsprüfung in 1933 keine Anstellung. Er verließ Kassel 1935 und wanderte über Kanada in die USA aus. 1936 konnte er bei einem Besuchsaufenthalt in Kassel trotz Haftbefehl der Gestapo Kassel dank eines USA-Visums entkommen.
Ursula Fröhlich, verheiratete Zampolli war durch Heirat italienische Staatsbürgerin geworden und lebte zusammen mit ihrem Mann in Brescia und war dadurch vor unmittelbarer Verfolgung geschützt.
Die Nazis waren von Anfang an bestrebt, Juden aus dem Wirtschaftsleben zu verdrängen und ihr Eigentum „arischen“ Industriellen – heute Investoren – zuzuschanzen. Das wurde mit Gesetzen und Verordnungen in behördliche Bahnen gelenkt. Ab 1935 begannen die Gauwirtschaftsberater der NSDAP, die Arisierung von Betrieben auf lokaler Ebene über die Handelskammern zu steuern. Vertragsfreiheit und halbwegs faire Preise bei Unternehmensverkäufen waren nicht mehr möglich. In 1938 waren Fröhlich & Wollf dran. Am 12.4.1938 wurde ein Vertrag aufgesetzt. Frau Hildegard Henschel kaufte die Firma zu dem festgesetzten Preis plus einer „Arisierungsabgabe" in Höhe von 300.000,- RM, abgeführt als Parteispende an die NSDAP.
Im Februar 1938 tönte das Naziblatt Kurhessische Landeszeitung: „Es rauscht bei uns jetzt im jüdischen Aktienwald. Aktienblatt um Aktienblatt fällt in die Hände arischer Neubesitzer. Der Jude beginnt einzusehen, daß er sich nicht halten kann und fängt an, das Feld zu räumen". Die Kasseler Post schrieb am 19.3.1938: „Die bekannten Besitzwechsel-Verhandlungen bei den drei Großunternehmen der Kasseler Schwergewebeindustrie, Baumann u. Lederer, Gottschalk & Co. und Fröhlich & Wolff sind nunmehr abgeschlossen. Bei den drei Unternehmen haben jetzt Mitglieder der Familie Henschel maßgeblichen Anteil." Im Oktober 1938 trat Karl Anton Henschel rückwirkend in den Kaufvertrag ein und fungierte fortan als alleiniger Inhaber der „Textilwerke Karl Anton Henschel Kassel“.
Im November 1938 wurde Bruno Fröhlich mit 256 anderen Kasseler Juden in das KZ Buchenwald verschleppt und gedemütigt (Haftnummer 21776). Seit Mitte 1938, also nach dem Zwangsverkauf, war bei der Zollfahndung ein Ermittlungsverfahren wegen Devisenvergehen anhängig, in dessen Verlauf das bedeutende Vermögen seiner Verfügungsgewalt entzogen wurde. Durch die Judenvermögensabgabe war ohnehin ein beträchtlicher Teil schon konfisziert.
Dieses Verfahren führte dazu, dass Bruno im November 1939 in Untersuchungshaft genommen wurde. Während der U-Haft ist gegen ihn ein Strafverfahren nach dem Heimtückegesetz eröffnet worden, weil er sich in der Haft abfällig über Führer und Reich geäußert habe. Urteil des Sondergerichts: 18 Monate Gefängnis. Diese Strafe verbüßte er im Strafgefängnis Vechta/Oldenburg vom Juni 1940 bis Dezember 1941. Danach „Schutzhaft“ in Kassel und am 13. März 1942 Transport in das KZ Buchenwald. Die Gedenkstätte Buchenwald findet im Archiv: „Haftnummer 7579, Jude, Haft im Anschluss an Straffhaft wegen Heimtücke, Kriegsvergehen“. Ein Monat später ist Bruno tot. Er starb am 14. April 1942 – Herzinsuffizienz.
Nur ein Monat danach am 14. Mai 1942 wird Katinka Fröhlich in Bernburg/Sachsen in einer Gaskammer ermordet.

 

Unterschrift auf dem Hinterlegungsblatt im AEL Breitenau (1940).  Ab 1939 mussten jüdische Frauen den Zwangsnamen Sara führen, Männer den Namen Israel.Israel
Unterschrift auf dem Hinterlegungsblatt im AEL Breitenau (1940). Ab 1939 mussten jüdische Frauen den Zwangsnamen Sara führen, Männer den Namen Israel.Israel

Am 18. Mai 1940 war sie im Arbeitserziehungslager Breitenau, damals auch Haftstätte der Gestapo Kassel, eingeliefert worden. Ihr Mann war da schon in Haft. In den Akten ist kein Haftgrund angegeben. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass das gegen ihren Mann geführte Ermittlungsverfahren auf sie ausgedehnt worden ist. Aus der Akte geht übrigens hervor, dass Katinka Fröhlich, die als Jüdin verfolgt und ermordet wurde, katholisch war. Ein Jahr blieb sie in Breitenau. Katinka Fröhlich wurde am 15.5.1941 aus dem Arbeitserziehungslager Breitenau in das Konzentrationslager Ravensbrück deportiert. Nach 12 weiteren Monaten Lagerhaft wird sie von Ravensbrück nach Bernburg gebracht und am selben Tag getötet; 55 Jahre alt.
Otto Fröhlich nebst Familie und die Mitgesellschafter Wollf sind der Vernichtung durch Flucht entkommen.
Nach der Befreiung gab es ein Rückerstattungsverfahren, das die in den USA lebenden Erben Fröhlich und Wollf betrieben. 1948 wurde der Betrieb an sie zurückgegeben. Die Interessen von Fröhlichs Erben in der GmbH wurden von Hans Fröhlich, dem Sohn von Bruno Fröhlich, vertreten. Auf der Wollf-Seite hatte Gertrud Wollf, geb. Lefevre das Sagen.
Fröhlich & Wollf erlebte eine Wiederauferstehung. Zu diesem Zeitpunkt stand der Wiederaufbau des Kasseler Werkes kurz vor einem Abschluss, in Hess. Lichtenau wurde eine neue Kesselanlage in Betrieb genommen, die Beschäftigungslage war gut, die Umsätze stiegen, der Auftragsbestand reichte für drei bis vier Monate. Allerdings gab es kein stetiges Wachstum. Da half es auch nicht, dass im Dezember 1960 Gertrud Wolff und Hans Fröhlich, Eigentümer der Firma Fröhlich und Wolff in Hess. Lichtenau, als Komplementäre in die Firma Salzmann eintraten. Heute ist die Firmengeschichte Fröhlich & Wollf abgeschlossen.
Hans Fröhlich hat Mitte der 1960-er Jahre in Houston/Texas gelebt. Ob er jemals wieder in Kassel war, ist nicht bekannt. Es ist bis jetzt nicht gelungen, Verwandte ausfindig zu machen.


Frau Hildegard Erstmann aus Kassel hat die Stolpersteine angeregt und gestiftet.

 

Quellen:

Namen und Schicksale der Juden Kassels,1986

StadtA Kassel A 3.32 HB 561 für Terrasse 16
Gedenkbuch Bundesarchiv

Gedenkportal Yad Vashem

Adressbücher Kassel
Entschädigungsakten Fröhlich – HHStAW 518 62575 und 518 62580

Archiv des LWV-Hessen. Bestand 2 [Breitenau], Nr. 5370

Auskunft der Gedenkstätte Buchenwald vom 24.03.2016
Betriebschronik Fröhlich & Wollf:

 

Jochen Boczkowski, März 2016

 

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