Friedrich Görlitz

Frankfurter Straße 101

Am 20. Oktober 1932 hat sich Friedrich Görlitz im 4 Stock des Hauses Frankfurter Straße 101 polizeilich angemeldet. Er war zuvor von den Vereinigten Staaten ausgewiesen worden. Da seine Schwester in Kassel verheiratet war, hatte er mit ihrer Hilfe bei deren Schwiegervater eine Bleibe gefunden.

 

Friedrich Görlitz ist am 4. Februar 1909 in Einbeck geboren. Seine Eltern waren Emil Paul Hermann Görlitz aus Polkwitz (Polkowice) und Adele Anna Leisching aus Prag. Die Eheleute haben von 1906 bis 1910 in Einbeck gewohnt. Als Beruf ist Geschäftsreisender eingetragen. Sie waren aus Würzburg gekommen und sind nach dort auch wieder zurückgegangen. Fritz hat 1923 die Volksschule abgeschlossen. Im gleichen Jahr sind seine Eltern nach Amerika ausgewandert. Er ist in Deutschland geblieben und hat eine Schlosserlehre gemacht. Seit dieser Zeit war er gewerkschaftlich organisiert und schloss sich auch dem Kommunistischen Jugendverband (KJVD) an.

Er war 18 als er 1927 zu seinen Eltern in die USA auswanderte. Er nahm Verbindung zur Young Workers League auf, einem Vorläufer bzw. legalen Zweig der Jungkommunisten. Später wurde er Mitglied der CPUSA. Anlässlich des Jugendtages der YWL in 1930 wurde er verhaftet. Womit und wie er seinen Lebensunterhalt bestritt, ist nicht überliefert. Wegen seiner politischen Aktivitäten gelang es ihm nicht die Staatsbürgerschaft zu erwerben. Trotz solidarischer Unterstützung seiner Genossen wurde er im Herbst 1932 als lästiger Ausländer ausgewiesen. Seine Eltern waren davon nicht betroffen.

 

In Kassel hat er Kontakt zur KPD aufgenommen. Eine der ersten Kontaktpersonen war der damalige Sekretär Georg Merle. Im Stadtteil Süd übernahm er die Funktion des Kassierers. Dabei arbeitete er zusammen mit dem im Nachbarhaus wohnenden Genossen Alfred Waschkowitz.

Die Bemühungen die faschische Machtübertragung durch Mobilisierung der Arbeiterklasse und anderer Hitlergegner zu stoppen scheiterten an den tiefen Gräben zwischen den potentiellen Kräften. Am 10. Juni 1933 wurde er verhaftet und im November vom Strafsenat des OLG Kassel wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens zu 2 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Die Angeklagten waren zumeist NS-Gegner – insbesondere Kommunisten, aber auch Sozialdemokraten -, denen etwa zur Last gelegt wurde, Hochverrat begangen zu haben. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges kam „Feindbegünstigung“ als wichtige Deliktgruppen hinzu, nach Januar 1943 auch „Wehrkraftzersetzung“. Für die Zeit ab 1941 ist eine Verschärfung der Spruchpraxis festzustellen. Das erste vom politischen Strafsenat verhängte Todesurteil datiert vom 15. Mai 1942. Insgesamt standen zwischen 1933 und 1945 2.980 Personen als Angeklagte vor dem politischen Strafsenat. Davon wurden 2.502 verurteilt. Neben den 15 Todesurteilen ergingen 1.382 Gefängnis- und 1.067 Zuchthausstrafen.

Mit angeklagt waren Alfred Waschkowitz, Franz Holste, Walter Spillner, Otto Haferburg, Georg Neumann, Georg Alter, Konrad Hellwig, Otto Beiswenger, Wilhelm Ehrlich. Alles Arbeiter aus Kassel, im Durchschnitt 30 Jahre alt. Insgesamt verhängte das Gericht 16 ½ Jahre Zuchthaus bzw. Gefängnis.

 

Görlitz war vor seiner Verurteilung vom Juni bis Oktober 1933 als Schutzhäftling im Lager Breitenau. Die Zuchthausstrafe hat er in Wehlheiden abgesessen bis Juni 1935. Nahtlos schloss sich die Überstellung in

das Moorlager Esterwegen an. Ab Juni 1936 war er dann im KZ Sachsenhausen eingekerkert. Am 15. Juli

1937 gehörte er zu den ersten Häftlingen, die auf den Ettersberg bei Weimar verlegt wurden. Auf dem

Ettersberg vor den Toren der Stadt Weimar ließ die SS ab Sommer 1937 das Konzentrationslager Buchenwald errichten. Es ersetzte die kleineren mitteldeutschen Lager Lichtenburg, Sachsenburg und Bad

Sulza. Für die geplante rassistische Umgestaltung der deutschen Gesellschaft wurden neue, auf Dauer angelegte Lager benötigt.

Die ersten Häftlinge auf dem Ettersberg (15.7.37 - Foto-Archiv Buchenwald) -  Effektenkarte fvon Friedrich Görlitz aus dem KZ Buchenwald (arolosen archives)

Allein Buchenwald war für 8.000 männliche Häftlinge ausgelegt. Die ersten trafen am 15. Juli 1937 auf der Baustelle am Ettersberg ein. Bis Jahresende stieg ihre Zahl auf über 2.500. Unter ihnen waren Widerständler, Vorbestrafte, Zeugen Jehovas und vereinzelt Homosexuelle. Das Lager mussten die Häftlinge in Schwerstarbeit selbst erbauen.

Am 23. Dezember 1937 wurde Görlitz entlassen.

 

Erneut stand er vor dem Problem: wo finde ich eine Bleibe? Wie nach seiner Ausweisung aus den USA war seine Schwester solidarisch, indem sie ihn in ihrer Wohnung Philosophenweg 49 aufnahm. Es gehörte schon Mut dazu einem Zuchthäusler und Hochverräter behilflich zu sein. Sein Schwager beschäftigte ihn als Maler in seinem Handwerksbetrieb. Görlitz stand unter Polizeiaufsicht und musste sich anfangs täglich, später alle 3 Tage bei der Polizei melden. Außerdem durfte er sich nur zwischen 7 und 19 Uhr außer Haus aufhalten. Diese Beschränkungen galten bis 1940.

1941 wird er zur Wehrmacht eingezogen. An welchen Fronten er eingesetzt war, bleibt im Dunklen. Am 8. Mai 1945 kommt er in den Niederlanden in britische Gefangenschaft, aus der im November entlassen wird. Damit ist für ihn das Kapitel Krieg und nazistische Verfolgung beendet. Dazwischen liegt noch seine Heirat mit der gleichaltrigen Marie-Luise Wohlfeil am 9. Oktober 1942. Aus dieser Ehe sind 2 Töchter geboren.

 

Fritz Görlitz ist am 23.11.1973 in Kassel gestorben

 

Jochen Boczkowski im Juni 2023

 

Verlegung des Stolpersteins am 12.6.2023

 

 

Quellen und Literatur

 

Entschädigungsakte Görlitz – HHStAW 518, 2573

Strafurteil Görlitz u. A. – HStAM 254, 230

arolsen archives

Krause-Vilmar: Das Konzentrationslager Breitenau

Susanne Gerdes, Einbeck

Stadtarchiv Kassel Meldeakten und Hausstandsbücher

https://fotoarchiv.buchenwald.de/detail/468

 

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